Unsere kleine Welt-WG 4/1

Folge 4: Anti-Auto-Aktivitäten

Szene 1, Straße vor dem WG-Haus, Nachts
Adrian und Carlos sind Esther auf die Straße gefolgt, wo die Polizei das Auto von Esther identifiziert hat und sie aufgefordert wird, das Fahrzeug zur Werkstatt zu bringen. Ein Feuerwehrmann kriecht am Boden herum und streut Bindemittel auf die Ölpfützen
Polizist: Aus ihrem Auto tropft Öl. Das kann hier nicht stehen bleiben, aber wenn sie es selbst zur Werkstatt fahren, sparen sie sich den Abschleppdienst, den wir ansonsten holen würden, und sie wissen ja, das wird teuer.
Esther: Oje, dabei brauche ich das Auto eigentlich gar nicht. Was ist, wenn ich es jetzt hier und sofort verschenke?
Polizist: So einfach geht das nicht, an wen denn?
Esther: (deutet auf Adrian) Dieser junge Mann könnte das Auto bestimmt besser gebrauchen als ich…
Adrian: Auf keinen Fall, ich hasse Autos, egal wohin, ich komme auch ohne Auto hin
Esther: Carlos, wie wäre es mit dir?
Carlos: Ich?
Adrian: Lass dich nicht einwickeln, da hast du einen Sack Ärger am Hals, zum Beispiel die Rechnung für diesen Feuerwehreinsatz
Carlos: Ich habe ja gar keinen gültigen Führerschein.
Polizist: Haben Sie getrunken? Dann müssen wir den Abschleppwagen holen
Adrian: Wollen sie damit zum Ausdruck bringen, dass sie es befremdlich finden, wenn jemand kein Auto besitzen will?
Polizei: Nein, es geht mir nur um die Sicherheit im Straßenverkehr.
Adrian: Dann bin ich ja beruhigt, komm Carlos, wir gehen
Esther: Wollt ihr mich hier alleine zurücklassen?
Adrian: Das Öl, das aus deinem Auto tropft ist ja wohl dein Problem, wir müssen noch fotografiert werden
Carlos: Kein Auto schenken lassen?
Adrian: Auf keinen Fall, Schluss jetzt, das verstößt gegen unsere WG-Statuten
Carlos: (zu Esther) Na dann viel Glück in Leberkuchen, war schön dich kennengelernt zu haben
Adrian: Das heißt Leverkusen

Szene 2: Im Treppenhaus
Carlos: Das mit den WG-Statuten habe ich noch nicht ganz verstanden… Ich würde zwar das Auto besitzen, aber weil ich keinen Führerschein habe, würde ich gar nicht fahren
Adrian: Das macht überhaupt keinen Sinn
Carlos: Doch, umso mehr! Ich kenne ganz viele Frauen, die gerne Auto fahren und keines haben. Mit denen könnte ich mich verabreden, erst mal als Zweckgemeinschaft
Adrian: Auto als Dating-App, so, so. Ich vermute, du unterschätzt ganz krass, wie viel das kosten würde
Carlos: Noch bin ich arm
Adrian: Und wirst es bleiben, wenn du deine Ersparnisse in Individualverkehr investierst
Carlos: Aber ich will mit Tickla in den Rhododendrenpark(*) fahren, wenn die Rhododendren blühen, wie sollen wir dahin kommen?
Adrian: Das ist eine tolle Radtour, ich kann es euch zeigen, da brauchst du kein Auto.

(*) Landschaftspark mit der berühmten Rakotz-Brücke in der Nähe von Weißwasser, also ca. 50 km von Cottbus entfernt

Szene 3: WG-Gemeinschaftsbereich
Sie sind oben angelangt und gehen ins Gemeinschaftszimmer, wo die anderen immer noch herumsitzen
Carlos: Leute, wie ist es in unserer WG? Ist Autofahren verboten, oder Auto besitzen?
Tickla: Beides!
Ravi: Weder noch….?
Havin: In unserem Grundsatzprogramm steht, dass PKWs, Kleinbusse und Transporter nur dann benutzt werden sollen, wenn alle anderen Transportmittel mit unverhältnismäßig hohem Aufwand verbunden sind oder es sich um einen Notfall handelt. Unverhältnismäßig ist eine doppelt so lange Fahrzeit, Preisunterschiede sind nicht als Begründung zulässig, da bei den Preisen fürs Autofahren die Kosten für die Umweltschäden in der Regel nicht miteingerechnet werden. So steht es im Vereinbarungsbuch.
Adrian: (zu Carlos) Da siehst du! Die Benutzung des Autos ist obsolet, egal ob als Fahrer, Beifahrer, Besitzer oder Nichtbesitzer
Carlos: Und wer hat das da hineingeschrieben?
Adrian: Ich habe es geschrieben, aber wir hatten vorher diskutiert und diese Formulierung war Konsens, auch Ravi und Tickla haben dem zugestimmt, als ich ihnen den Haustürschlüssel ausgehändigt habe.
Carlos: Aber Tickla, du wolltest doch mit mir zu Rakotz-Brücke fahren, wenn ich ein Auto habe
Tickla: Will ich auch, aber du hast ja keins.
Carlos: Ich hätte eben ein Auto geschenkt bekommen können
Ravi: Aber bitte nicht das von Esther, alles was mit ihr zu tun hat, muss aus meinem Leben verschwinden und wir sollten hier nicht länger über Autos diskutieren, die Vereinbarung ist klar und sinnvoll, es soll hier auch noch ein Foto entstehen
Fotograf: Genau, ich habe zwar schon ein paar hübsche Bilder aus der Situation heraus gemacht, aber vielleicht noch ein Motiv ohne Laptop. Mehr so was Privates
Ravi: Ein Laptop ist doch was Privates
Carlos: Würde ich auch sagen, hier steht immer ein Laptop herum
Fotograf: Aber dann zwei oder noch mehr?
Adrian: Ich würde ganz gerne noch mal auf die Diskussion von vorhin zurückkommen, da hatten wir noch kein Ergebnis. Es ging um die Verwertungsstrategie dieser Fotos. Was denkt die Marketingabteilung, worin die Bilder Verwendung finden?
Tickla: Wieso müssen wir jetzt noch mal diskutieren? Ich will lieber Fotografiert werden!


Szene 4: In der Cafeteria
Die Pressesprecherin und der Fotograf unterhalten sie und trinken dabei Kaffee
Fotograf: Ich habe eine Vision, die Vision, dass es eines Tages keine objektiven Bilder mehr gibt, dass eines Tages nur noch Bilder existieren, die von den Menschen, die auf den Bildern zu sehen sind, selbst kontrolliert werden, und manipuliert und optimiert und kanalisiert, also dorthin gelenkt werden, wo sie hinsollen.
Pressesprecherin: Aber wir, als Institution, machen das auch, nur nicht mit uns selbst, sondern mit den Bildern derjenigen, die wir instrumentalisieren, um unser Image zu bilden.
Fotograf: Aber dann wird jeder über sich selbst verfügen
Pressesprecherin: Klingt eigentlich gut
Fotograf: Und ich werde nicht mehr gebraucht, kein Mensch braucht dann noch einen Fotografen
Pressesprecherin: Mein Job als Öffentlichkeitsarbeiterin besteht ja gerade darin, die Selbstdarstellung zu optimieren, wir können das den Individuen nicht untersagen.
Fotograf: Wenn ich darüber nachdenke, fühle ich mich, wie ein Angler beim Anblick von Tiefkühlfisch.
Pressesprecherin: Und wie war es mit unserer Wissenschafts-WG?
Fotograf: (Stoßseufzer) Sehr schöne Fotos, aber es gibt noch keine abschließende Beschlussfassung, ob die Kommunarden einer Veröffentlichung der Aufnahmen zustimmen.

Szene 5: Büro Adrian
Adrian schaut sich auf seinem großen Mac-Rechner den Rohschnitt der Videointerviews mit den Wissenschaftlern an. Neben ihm sitzt seine Chefin, Professorin Edith Löschler, die das Material zum ersten Mal zu Gesicht bekommt.

Wissenschaftler 1: (Typ Pedant) Die Verfügungsgewalt der Formalisten ist zu groß, ich bin hilflos in ihren Händen. Aber nicht, weil sie mich einschränken, sondern weil sie mich einschüchtern, das kostet Kraft, die mir in der Forschung fehlt, oder fehlt mir diese Kraft grundsätzlich, bin ich einfach zu schwach? Vielleicht muss ich doch als Quereinsteiger ins Lehramt wechseln.
Wissenschaftler 2: (Typ verbitterter Zyniker) Needless to say we both hate academics. Nothing else to say. Scientific Brainwashing
Edith Löschler: Das ist ja schrecklich negativ, da komme ich mir vor, als sei ich Therapeutin und höre mir den ganzen Tag das larmoyante Gerede von manisch-depressiven Simulanten an
Adrian: Wenn ich wenigstens ein paar von denen in ihrer manischen Phase erwischt hätte
Edith Löschler: Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Personen repräsentativ sind, da steckt ein systematischer Fehler drin.
Adrian: Ja durchaus, das sind nämlich diejenigen, die Zeit hatten. Zeit für den Interviewtermin. Wer erfolgreich forscht hat wenig Zeit und wer gerade in der Krise steckt füllt das Motivationsloch mit einem autotherapeutischen Bekennergespräch, mit seinem Bekenntnis zum Scheitern. Dieser Effekt wird in der Literatur beschrieben, als negatives Tagebuchsyndrom.
Edith Löschler: Und was gedenken sie dagegen zu unternehmen?
Adrian: Zunächst muss ich die erfolgreichen Probanden interviewen, die sind ja alle bereits angefragt, aber die Termine verschieben sich reihenweise nach hinten.
Edith Löschler schaut fragend
Adrian: Die Interviewtermine haben keine Priorität, alles ist wichtig, nur meine Studie nicht. Aber da kommen bald einige erfolgversprechende Kandidaten, das Team von der Hochtemperaturwärmepumpe ist total motiviert, erst war der Minister da, dann wurde das Budget verdoppelt und obwohl das Projekt gerade erst gestartet ist, haben die schon ein paar Patente in Vorbereitung, die sind euphorisch, da bin ich mir sicher, dass es bessere Aussagen gibt.
Löschler: Das ist zu hoffen. Aber wenn das (sie deutet auf das traurige Videoschlussbild von Wissenschaftler 2) ein Abbild der „richtigen“ Wissenschaft ist, dann stimmt mit der Wissenschaft etwas nicht, dann muss ihn ihren Videokuchen noch etwas Süßstoff!

Szene 6: Gemeinschaftsbereich WG
Havin mit dem Grundriss der Wohnung und verschiedenen Diagrammen, die die Verteilung der Miete anzeigen. Ihre Erklärungen der Rechenmodelle werden jeweils durch Skizzen und Diagramme illustriert.

Havin: Man kann das einfach nach Gefühl entscheiden, sagen, du zahlst 20 Euro Miete und Ravi 600 und rückwärts kann man dann ein Parametersystem finden, dass diese Verteilung als Ergebnis liefert.
Tickla: Wie soll das denn gehen?
Havin: Mit progressiven Flächenbewertungen geht das schon und das wird auch in den meisten Steuersystemen der Welt so gemacht. Bei Mieten macht man das selten, aber wir sind progressiv und machen es einfach, wenn wir es machen wollen.
Standard wäre, dass wir die Wohnung in den individuellen Wohnraum und den kollektiven Gemeinschaftsraum teilen. Der kollektive Gemeinschaftraum ist ein Drittel, also für jeden und jede 6,66 % und den individuellen Raum teilen wir proportional zur jeweiligen Quadratmeterzahl der Zimmer. Da du mit 6 qm nur 4% des Wohnraums belegst kommst du auf 10,6% der gesamten Miete, also 160 Euro.
Tickla: Und wie komme ich noch weiter nach unten?
Havin: Wenn wir sagen, wir setzen nur den individuellen Wohnraum als Maßstab an, und alle Gemeinschafträume sind umsonst.
Dann landest du bei 6%, Dieses Konzept findet aber nur selten Akzeptanz.
Doch es geht noch mehr! Wir sagen: „Wohnen“ ist ein Grundrecht, jeder Mensch hat ein Recht auf beispielsweise 4 qm, und wir zahlen einerseits für die Gemeinschaftsräume und für alles, was über den festgesetzten Mindestwohnraum hinausgeht.
Havin: Wir könnten, wie bei der Einkommenssteuer sagen, es gibt einen Freibetrag für den Mindestwohnraum, also vier Quadratmeter sind umsonst, was darüber hinausgeht, aber unter 20 qm liegt ist der Normalwohnraum zum normalen Preis und alles über 20 qm gilt als Luxus. Dieser Luxuswohnraum wird mit einem Zuschlag versehen. Bei diesem Konzept steigen Adrians und Ravis Anteile sehr stark.
Tickla: Geht’s noch komplizierter?
Havin: Wenn wir die Einkommensverhältnisse alles Beteiligen miteinrechnen. Oder die Vermögensverhältnisse, oder das zu erwartende Erbe. Wieviel Vermögenswerte hat deine Familie und auf wie viele Personen wird es sich aufteilen?
Tickla: (ironisch) Die sind froh, wenn sie überleben! Wie wäre es, wenn der Abstand des Wohnraums von der Haustür berücksichtigt wird. Adrian nutzt den Fußboden im Flur viel mehr ab, als ich, denn ich brauche nur einen Meter um von der Haustür in mein Zimmer zu kommen, er hingegen hat mindestens 12 m Flur, bis er in seinem Zimmer ankommt.

Szene 7: WG-Küche
Adrian und Carlos kochen Gemüse in einem großen Topf. Weil im Lauf des Gesprächs immer weitere Esser auftauchen, werden zusätzliche Zutaten in den Topf geworfen.
Adrian: Die Chefin war entsetzt über das Video, sie hat gelitten
Carlos: Fand sie meine Bilder nicht gut?
Adrian: Darum ging es gar nicht, es ging um die hochkonzentrierte Frustrationspolemik unserer Gesprächspartner. Alle, die wir bis jetzt interviewt haben, waren in einer Schaffenskrise. Ich muss meiner Chefin recht geben, es ist wirklich demotivierend, sich diese Leute anzuhören.
Carlos: Du musst mehr positive Stimmung schaffen. So wie du deine Fragen stellst, glauben die Gesprächspartner, du willst von ihnen unbedingt Probleme, Komplikationen und Motivationsmangel präsentiert bekommen. Zu viele Suggestivfragen.
Adrian: Ich bin nicht suggestiv
Carlos: Nicht direkt, aber indirekt, du vermittelst den Eindruck, als seiest du der Psychodoktor für ihre Frustration und dann erzählen sie nur das, was nicht klappt.
Adrian: Bis jetzt waren aber auch nur Problemforscher zum Interview da. Die Terminfindung ist so schwierig und das liegt auch an dir. Ich habe der Löschler gesagt, dass die Interviewpartner nicht konnten, aber wenn du etwas flexibler wärest, würden wir schneller vorankommen.
Carlos: Freitag um fünf ist für mich kein guter Termin!
Adrian: Für manche Leute schon, wir brauchen endliche euphorische, charismatische Persönlichkeiten, so wie…. Tickla!
Tickla kommt gerade und setzt sich zu den beiden.
Tickla: Redet ihr über mich?
Adrian: Wie kommst du voran, mit deinen Forschungsergebnissen?
Tickla: Kommt drauf an, wie die Ergebnisse von den heutigen Versuchsreihen ins Konzept passen, was sagst du dazu, Carlos?
Carlos: Welche Versuchsreihe, ich habe heute gar keine gemacht
Tickla. Das habe ich bemerkt, eigentlich solltest du sie gestern machen
Carlos: Aber da ging es nicht, weil das Netzwerk gestört war
Tickla: Das ist eine Ausrede und kein triftiger Grund, denn die Versuchsanlage braucht kein Netzwerk. Du kannst die Messwerte auf den USB-Stick transportieren
Carlos: Warum einfach, wenn es auch umständlich geht? Ich habe mich für mein Seminar vorbereiten müssen und freitags ruft der Pfandflaschenautomat.
Tickla: (zu Adrian im Tonfall eines offiziellen Statements) Es sieht also ganz danach aus, als sei ich diese Woche nicht weitergekommen, da mein Mitarbeiter keine Versuchsergebnisse geliefert hat
Carlos: Ich mach es gleich Montag früh
Tickla: Montag früh will ich die Werte haben, das Laborgebäude ist am Wochenende offen
Adrian: Heute kochen wir aber
Carlos: Ich habe die guten Paprikas mitgebracht, sollen wir die auch noch reinschnippeln, oder Salat daraus machen?
Ravi: (kommt auch noch zur Tür rein) Alles reinschnippeln, ich habe einen riesen Hunger, ich kann auch was schneiden, schälen, braten?
Adrian: Warst du in dieser Woche erfolgreich für die Wissenschaft?
Ravi: Die Anlage läuft endlich, Havin hat uns geholfen diesen Bug in der Maschinensteuerung zu finden. Wasser oder Luft, das ist jetzt die Frage. Professor Institutsleiter meint Wasser sei am besten, ich bin für Luft. Beides ist Erfolg versprechend, aber wo bekommen wir den besseren Wirkungsgrad?
Carlos: Wovon redest du überhaupt, Waser Luft, bist du jetzt bei den Ökologen?
Ravi: Vom Kältemittel in unserer Hochtemperaturwärmepumpe,
Adrian: Das hört sich alles an, als würdet ihr vorankommen?
Ravi: Das werden wir dann sehen, es dauert drei Tage Vorbereitung, bis ein Versuch starten kann, aber dann gilt es. Ist ja auch wurscht, wer Recht hat, ich oder Genosse Institutsleiter
Adrian: Hattest du nicht gesagt, Luft ist sowieso der Favorit
Ravi: Ja, und plötzlich sollen mit Wasser auch noch umfangreiche Testreihen stattfinden. Vielleicht will mein Chef mich motivieren, indem er selbst auf das schlechtere Pferd wettet und ich dann gewinne
Carlos: Das ist aber ganz um die Ecke herumgedacht…
Adrian: Vielleicht hat er mal ein Coaching für Führungspersonal mitgemacht, da wird einem das als Motivationsstrategie für Untertanen verkauft. Soll helfen
Tickla: Wenn Ravi es dann durchschaut, dass sein Chef ihn so ausgetrickst hat…
Adrian: Das kann man nicht als austricksen bezeichnen, das ist sublime Personalführung
Ravi: Jetzt hört mal auf mit der Debatte, die Anlage läuft, und ich sage Prost, wer will mit mir anstoßen?

Er zieht Bierflaschen aus seiner Tasche, Carlos und Tickla trinken mit, Adrian hat einen Weißwein geöffnet, Havin kommt mit Kirschsaft und hat gelierte Fruchtschnitten, die es dann zum Nachtisch gibt.
Der Dialog hat willkürliche Zeitsprünge. Am Anfang schneiden sie noch Gemüse, dann sitzen sie da und bereiten Nachtisch, schließlich kommt das Essen auf den Tisch, etc.
Ravi: Wenn unser Konzept aufgeht, dann wird unsere HTW billiger als konventionelle Lösungen, und zwar sofort. Die meisten Innovationen, die als Maßnahme gegen den Klimawandel eingeführt werden sollten, waren ja zunächst teurer, als die vorhandene Technik. Das ist ja auch keine Wunder, denn die konventionelle Technik ist ausgereift, ist ein Massenprodukt, aber die klimafreundlichen Technologien sind zunächst Nischenprodukte, deswegen sind sie teuer in der Herstellung, und noch nicht in der Entwicklung optimiert. Was kann man tun? Man fördert die umweltfreundliche Technologie entweder direkt, oder man macht die konventionelle umweltschädliche Technik künstlich teurer. Wenn unsere Hochtemperaturwärmepumpe funktioniert, dann ist sie von vornherein konkurrenzfähig. Das liegt natürlich vor allem daran, dass sie nur im industriellen Anlagenbau eingesetzt werden soll, und da kostet auch eine Gasheizanlage unglaublich viel.
Adrian: Das freut mich zu hören, du bist der richtige Mann für meine Interviews, der Termin nächste Woche steht noch?
Ravi: Kommt drauf an, ob die Vorbereitungen für die Versuche an der Pumpe rechtzeitig fertig sind
Havin: Adrian, warum willst du mich nicht für deinen Film interviewen, mir macht die Arbeit Spaß, ich bin auch nicht frustriert.
Adrian: Du bist nicht auf meiner Liste.
Havin: Da kannst du mich ja draufschreiben
Adrian: Das ist nicht meine Liste, die kommt vom Ministerium, das sind nur die Forschungsprojekte, die aus den Strukturwandelgeldern gefördert werden.
Havin: Ich habe Ravi geholfen, die Maschinenprogrammierung zu verbessern
Ravi: Du hast es kostenlos gemacht, deshalb kommst du nicht auf Adrians Liste
Havin: Ja, ich weiß, ich werde von den regulären Lehrstuhl-Mitteln finanziert, ich gehöre zum Plansoll, ich bin NORMAL, ich bin ZU normal, und muss mit dem mit der Normalität verbundenen Aufmerksamkeitsdefizit selbst klarkommen, und mit den uninspirierten Studierenden, die mir Löchern in den Bauch fragen
Adrian: Wie schön du das sagst
Carlos: Hast du auch Studentinnen?
Havin: Wenig, Informatik liegt immer noch unter 10% Frauenanteil
Carlos: Heute ist Party bei der Architekturfakultät, da ist der Frauenanteil ziemlich hoch, und ich würde sagen, da gehen wir gemeinsam hin.
Tickla: Ich hatte gehofft, du legst noch eine Nachtschicht im Labor ein, damit ich Montagmorgen die Messwerte habe.
Carlos: Kann ich auch am Samstag machen, heute ist die Gelegenheit, wir sind fast nie vollzählig. Abgesehen von dem Termin mit dem Fotografen haben wir noch nie zu fünft einen Ausflug gemacht
Ravi: Was für eine Party?
Carlos: Ich weiß es auch nicht so genau, aber bei den Architekten, da gibt’s cooles Ambiente, gute Musik, está de ahuevo la fiesta!
Adrian: Die Clubs in der Stadt taugen alle nix, auf dem Campus ist es am besten, aber wenn du Pech hast, sind wirklich nur Studierende da
Carlos: Und Tickla und ihre hübschen Freundinnen
Tickla: Wenn mir jemand garantiert, dass mein Ex-Mitbewohner NICHT dort ist, komme ich mit
Adrian: Und Carlos, der nach Blondinen Ausschau hält, ist ebenfalls regelmäßiger Besucher bei aller Campus-Feiern
Carlos: Heute geht sogar Havin mit, das spüre ich,
Havin: Ich gehe nur mit, wenn alle mitkommen
Adrian: Ich habe leider schon mit Wein angefangen. Auf den Partys gibt’s nur Bier.
Carlos: Da gibt es auch Wein, bei den Architekten auf jeden Fall, bei den Maschinenbauern und Bauingenieuren, da trinken sie nur Bier und essen diesen ekligen Wackelpudding mit Schnaps drin.
Tickla: Ihh, Jelly Shots
Adrian: Aber den Wein, den es dort gibt, kann man nicht trinken, die Plörre, und dann auch noch aus den ganz miesen Einwegplastikbechern
Carlos: Nimm doch den Wein einfach mit und ein Glas, (er greift an die Flasche) ist ja nicht mal ein Korkenwein,
Ravi: Dann bringen wir es hinter uns (er steht auf und schlägt zur Bekräftigung auf den Tisch)

Schweigen, alle schauen ihn fragend an, aber niemand sagt was.
Schließlich beendet Adrian das Schweigen.
Adrian: Du willst da wirklich hin?
Ravi: Ihr doch auch? Hier ist das Bier alle. Ich würde gern noch eine Flasche trinken und dann geht es ins Bett
Carlos: Es ist halb zehn, womöglich ist noch niemand da!
Ravi: Wenn, dann gleich, es wird ja wohl hoffentlich die Bar schon geöffnet sein.
Tickla: Ganz so schnell geht’s nicht, ich muss mich noch umziehen

Szene 8: Lehmbaucafé
Das Lehmbaucafé entstand als experimenteller Bau im Rahmen eines Seminars. Das Gebäude ist nur ein langer Tresen mit Überdachung. Darum gruppieren sich weitere Pavillons, das DJ-Pult und das Chassis eines alten Trabbis, der zur Sitzgelegenheit umgebaut wurde. Rings um das Gelände sind Büsche und Bäume, so dass es vom Campus abgetrennt ist.
Ravi, Carlos und Tickla treten als erste an den Tresen, Adrian und Havin folgen. An der Bar ist niemand, man hört das Geklapper von Flaschen, dann kommt der Barkeeper mit einer Sackkarre voller Bierkisten, sagt Hallo und stapelt Flaschen in die leeren Kühlschränke.
Carlos: Wir hätten keine Minuten früher da sein sollen,
Ravi: Wir nicht, aber der Barkeeper schon, dann wäre das Bier kalt und das Wechselgeld sortiert.
Tickla: Bringst du mir ein Bier mit? Als Strafe, weil du mich gehetzt hast, ich hätte mir noch Zeit für die Frisur nehmen sollen
Ravi: (wollte sowieso für alle ein Bier nehmen, er nickt) Wer noch?
Adrian: (zu Tickla) Du schaust doch so gut aus, wie immer
Tickla: Ich wollte besser aussehen. (Sie setzt sich auf die Trabbi-Bank, Havin drückt sich neben sie, zwischendurch kommt Ravi und gibt Tickla eine Bierflasche)
Havin: Wenn es dunkel ist, kann man keine feinen Abstufungen in der Attraktivität der anwesenden Personen erkennen.
Tickla: Es geht um die Bewegung, die sieht man auch bei schlechtem Licht.
Havin: Wem von unsren Männer traust du die beste Motorik auf der Tanzfläche zu?
Tickla: Adrian sollte man Filmen und ins Netz stellen, als typisches Beispiel für den gestörten Bewegungsapparat eines intellektuellen Deutschen. Die Vorstufe zu einem Tanz-Roboter. Aber Carlos ist auch nicht gut, zu viel unkoordinierte Bewegungsenergie. Vermutlich Testosteron-Überdosierung. Ich glaube, er denkt, er könne damit europäische Frauen beeindrucken, aber die stehen nicht auf hyper-aktive Zappler. Es kommt nur Ravi in Frage. Ich glaube er ist smooth.
Havin: Ich bin gespannt, ob ich eine Vorführung bekomme.
Tickla: Wenn der DJ versagt, dann gehe ich zu ihm hin, und wünsche mir was, mir kann er nicht widerstehen, den kenne ich.

Szene 9: Lehmbaucafé, Fortsetzung
Ravi, Adrian und Carlos lehnen an der Bar, Alexander kommt mit einer attraktiven, blonden Studentin, die einerseits Carlos gut gefällt, andererseits scheint sie wenig Interesse an den anderen Studierenden, sondern vor allem an den wissenschaftlichen Mitarbeitern zu haben.
Adrian: Hallo Alexander!
Alexander: Wir kennen uns, aber ich kann mich gerade nicht erinnern, woher.
Adrian: Du warst in unserer WG, wegen dem Zimmer
Alexander: Stimmt, aber ihr wart so freundlich und habt mir eine Absage erteilt
Adrian: Ich hoffe, du nimmst es nicht persönlich
Alexander: Ich glaube durchaus, dass ich es persönlich nehmen sollte, denn ihr habt ja ausschließlich nach Sympathie und Antipathie entschieden, aber nachtragend bin ich nicht.
Adrian: Das hier ist Ravi, er wohnt jetzt bei uns.
Alexander: Hallo Ravi, vielleicht bist du mein besserer Ich
Ravi: Entschuldigung, ich kenne nicht mal dein schlechtes Ich
Alexander: Ich vermute, dass deine Öko-WG starke Vorbehalte gegen mich hat, weil ich die Fahne der freien Markwirtschaft hochhalte.
Adrian: Nein, keinesfalls, aber wir wollen keine Autofahrer in der WG
Alexander: Ah so, und wenn ich mir ein Elektroauto zulege?
Ravi: Hast du eins, oder würdest du es dir besorgen, um bei den richtigen Leuten Sympathien zu erschleichen?
Alexander: Wenn das Wertesystem so weit umgekrempelt ist, dass man Elektroautos fahren muss, um akzeptiert zu werden, dann habt ihr es geschafft.
Adrian: Was haben wir dann geschafft?
Alexander: Die Öko-Diktatur
Adrian: Ich glaube, du weißt nicht, was es heißt in einer Diktatur zu leben. Aber unsere freie Gesellschaftsordnung gib dir viel Raum, sinnlose, schädliche und ausbeuterische Aktivitäten zu entfalten. Was sagt denn deine jugendliche Begleiterin dazu?
Alexander: Höre ich da Polemik? Das ist Saskia, sie ist studentische Hilfskraft in meinem Projekt
Saskia: Was wollt ihr jetzt von mir wissen?
Alexander: Er will dich gegen mich instrumentalisieren, um seinen Öko-Stalinismus zu rechtfertigen
Adrian: Nein, ich will nur eine Diskussion anregen, welche Handlungsoptionen in Anbetracht des Klimawandels angemessen sind und welche nicht.
Saskia: Und was muss ich jetzt antworten?
Alexander: Nichts!
Tickla kommt und holt sich Ravi auf die Tanzfläche. Die Musik ist noch relativ ruhig und entspannt.
Während sie mit Ravi geschmeidig tanzt, schiebt sich Adrian mit seiner ungelenken Tanzweise ebenfalls in ihre Nähe und Carlos kommt mit Havin dazu.

Szene 10: Lehmbaucafé, Fortsetzung
Etwas später, die Tanzfläche ist deutlich voller, Ravi stand in einer langen Schlange am Tresen, kommt dann mit fünf Flaschenbier zurück, die er alle zwischen den Fingern hält. Er hatte eigentlich erwartet, dass die anderen auf ihn warten, aber da ist nur Carlos, der Saskia in ein Gespräch zu verwickeln versucht.
Ravi: (schon etwas lallend) Wo sind die anderen hin, ich habe das Bier für alle
Carlos: Hast du nicht gesagt, dass du ein Bier trinkst und dann ist Schluss
Ravi: Das habe ich gesagt, aber zu einem späteren Zeitpunkt habe ich diesen Vorsatz revidiert.
Carlos: Und dann hast du beschlossen fünf Bier zu trinken,
Ravi: Jetzt nimm endlich eins! (zu Saskia gewandt), und du auch!
Saskia: Ich?
Ravi: Klar und Alexander kriegt auch eins, zur Versöhnung, weil ich ihm das Zimmer weggeschnappt habe.
Alexander: Danke, ist nicht nötig, aber trinken tu ich es schon
(Von hinten greift Ticklas Arm nach der letzten Flasche und verschwindet damit zwischen den Menschen)
Ravi: Na dann Prost (anstoßen mit Carlos, Saskia Alexander) War das eben Tickla, wo ist sie hin?
Carlos: Singles Marketplace, auf dem Dancefloor?
Ravi: Oder liegt sie schon im Capsule-Hotel
Saskia: Das nicht, denn ich kann es auf meiner App sehen, wenn sich dort jemand einloggt, natürlich anonymisiert. Aber wenn niemand drin ist, ist auch Tickla nicht dort
Carlos: Woher weißt du denn das?
Alexander: Das Capsule-Hotel ist meins, und Saskia ist fürs Service Management zuständig,
Ravi: Du betreibst das? Ich war schon ein paar Mal drin, für ein Powernap am Nachmittag ist das nicht schlecht, aber ich besorge mir demnächst ein Sofa fürs Büro, das ist auf die Dauer praktischer.
Saskia: Aber nicht so originell, nicht so entspannend und auch nicht so hygienisch.
Carlos: Und nicht so intim, du hast das wichtigste Argument vergessen,
Alexander: Meine Kapsel ist kein Stundenhotel, da möchte ich dringend mal drauf hinweisen.
Ravi: Zum koksen kann man es auch nehmen!
Alexander: Ihr habt Phantasien, die lassen tief blicken. Dachte ich mir schon, dass Ökodiktatur und moralische Verwahrlosung dicht beieinander liegen.
Carlos: Für diese Aussage hätte ich dich vor 200 Jahren zum Duell herausfordern müssen.
Saskia: Nicht streiten, breaking News, es checkt sich jemand ins Hotel ein
Alexander: Wer? (er beugt sich zu ihr)
Ravi: Ich dachte es ist anonymisiert? Oder doch nicht?
Alexander: Du kannst auch einfach schauen, musst du nur hinters DJ-Pult treten
Ravi: Das mach ich
Saskia: Ich komme mit, ich bin die Service Managerin

Szene 11: Hinter dem DJ-Pult, mit Blick auf das Capsule Hotel

Edith Löschler mit kleinem Rollkoffer entschwindet im Türeingang des Capsule-Hotels, zwischen DJ-Pult und Capsule-Hotel sitzt Adrian mit unbekannten und trinkt Wein. Man hat wie beim Picknick eine Decke ausgebreitet und nutzt Gläser.
Ravi: (zu Saskia) Harmlos, kennst du die?
Saskia: Ich glaube, das ist nur eine alleinstehende Gastprofessorin
Ravi: Also kein Skandal, business as usual.
Adrian: Das war meine Chefin, vermutlich hat sie mein Zwischenbericht so deprimiert, dass sie alle Züge verpasst hat.
Saskia: Genau dafür ist das Capsule-Hotel ja auch vorgesehen.
Ravi: Hast du hier den Wein bekommen, der deinem Anspruchsdenken gerecht wird?
Adrian: Schöne Gläser und billiger Wein, aber ich glaube ich bin bereits völlig haltlos, wo sind die Frauen?
Ravi: Ich dachte, du weißt das
Adrian: Ich weiß nichts und will alles vergessen (schenkt sich Wein nach)

Tanzfläche, Biertrinken, Tickla und Havin tanzen eng, Adrian tanzt ungelenk hinter dem DJ-Pult, Ravi an der Theke holt wieder Bier, wieder fünf Flaschen, Alexander und Saskia nehmen ihm welche ab, Carlos zappelt auf der Tanzfläche, Am Capsule-Hotel öffnet sich die Tür und ein Herr im Jackett mit Laptoptasche (unbekannter Professor) wird eingelassen, aber niemand hat es zur Kenntnis genommen.
An einem Gebüsch belehrt Adrian einen Studenten, dass er nicht dahin pinkeln soll und er ist schon sehr am lallen.
Havin: Ich finde es lustig und ein interessantes Experiment, wenn eure motorischen Fähigkeiten und das kognitive Potential so stark durch Alkohol eingeschränkt sind, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sich dabei für Euch irgendeine Art von Befriedigung ergibt. Oder habe ich da etwas nicht verstanden?
Adrian: Ich fühle mich wohl!
Carlos und Alexander stehen auf beiden Seiten von Saskia und bequatschen sie.
Tanzfläche jetzt etwas leerer, Tickla in der Mitte, ausgelassene Bewegungen, Adrian schleicht sich heran, kommt aber nicht so richtig ran, denn von der anderen Seite kommt Ravi und es ist offensichtlich, dass Tickla mehr zu ihm tendiert.
Havin: Wenn jemand noch Hilfe beim Heimweg braucht, ich gehe jetzt. Ihr habe alle einen Schlüssel dabei?
Carlos: Havin, du bist wie ein Mutter zu uns, aber mach dir keine Sorgen, wir schaffen das schon!
Havin: Aber es wäre nett, wenn ihr nicht so viel Lärm im Flur macht.

Szene 12: WG, Flur/Küche/Gemeinschaftsraum/Adrians Zimmer
Lautes Rumpeln, weil Adrian gegen den Schrank gestoßen ist und drei große Fahrradschlösser und die Tretpumpe runterfallen, Klirren, Ravi hat den Karton mit den leeren Weinflaschen umgestoßen und isst mit dem Löffel aus dem großen Topf Reste des Abendessens. Tickla tanzt mit Kopfhörer im Gemeinschaftszimmer,
Carlos beim Betreten seines Zimmers: Buenos Noches Amigos, voy a echarme
Adrian schiebt sich an Tickla ran, umarmt sie so halb, halbherzig, und unvollständig, sie drückt ihn auch, aber freundschaftlich
Adrian: Bueno noche Tickla
Ravi stellt den ersten Topf in die Spüle, sucht in den anderen Töpfen und Pfannen, findet noch irgendeine Kleinigkeit. Adrian lässt sich bekleidet ins Bett fallen
Ravi schaut fragend seine Zahnbüste an.
Tickla auf der Schwelle zu ihrem winzigen Zimmer, subjektiver Blick auf ein ziemliches Durcheinander. Vermutlich hatte sie beim überstürzten Aufbruch viele Kleider aus dem Schrank geholt, die jetzt ungeordnet überall im Zimmer liegen.
Adrian steht auf, zieht die Hose aus und geht zur Zimmertür hinaus, um ins Bad zu gehen. Dabei fällt sein Blick auf die weit entfernte Ecke des Flurs, wo er als Spiegelung etwas sieht, was ihn verwirrt und erstaunt


Szene 13. Friedrich-Ebert-Straß:
Verkehrsberuhigte Straße mit Straßenbahnschienen, keine Trennung zwischen Gehwegen und Fahrbahn.
Tickla und Adrian auf Fahrrädern, nebeneinander, dann nähert sich die Straßenbahn. Adrian fährt nach vorn, ein parkender SUV oder Pickup öffnet die Fahrertür, Adrian muss ausweichen. Er flucht unterdrückt und fährt weiter. Tickla hat das gesehen und lenkt nach rechts, um durch die enge Lücke zwischen Haus und Auto zu fahren. Da steht aber ein geparktes Fahrrad oder eine Mülltonne, was von weitem nicht zu sehen war. Adrian ist inzwischen schon weiter und schaut sich um. Sieht das Tickla nicht mehr hinter ihm ist, wartet kurz, kehrt dann um, wo der Autofahrer schon wild gestikuliert und Tickla beschimpft. Sie gestikuliert auch, Adrian schiebt sich dazu, der Autofahrer zeigt auf die Beifahrertür, redet von Delle, optische Delle, er hätte es genau gesehen, Tickla deutet auf den Mülleimer, sie sei da nur dicht dran vorbeigefahren.
Während man die beteiligten auf der Straße gestikulieren und streiten sieht, hört man Statements von Tickla und Adrian, die als Nahaufnahme dazwischen geschnitten sind. Die Statements stammen dabei jeweils aus den Gesprächen mit verschiedenen Gesprächspartnern, Adrian unterhält sich sehr emotional mit Havin in der Küche und etwas zurückhaltend mit seinem Anwalt, während Tickla mit Ravi und Carlos an verschiedenen Orten redet.
Tickla: Ich wollte ja nicht die Straßenbahnschienen kreuzen, da bin ich rechts am Auto vorbeigefahren
Adrian: Der hat mich mit seiner Autotür fast vom Fahrrad geholt, und man muss an der Stelle mit dem Ausweichen sehr gut aufpassen, wegen den Schienen.
Tickla: Adrian war gleich total aggressiv
Adrian: Da ist ja verkehrsberuhigte Zone, der hat da gar nicht reinzufahren, mit seiner Riesen-Karre
Adrian: (zum Rechtsanwalt): Ich war nicht ganz sachlich in meiner Argumentation
Tickla: Der sagt gleich zu dem Autofahrer, dass er ein Arschloch sei, der war ein Arschloch, aber trotzdem
Adrian: Das war das Paradebeispiel für alles, was ich nicht mag, und natürlich hat er auch Tickla rassistisch und sexistisch angeglotzt
Havin: Du bist unsachlich, man kann nicht rassistisch und sexistisch glotzen
Tickla: Der hat keine dumme Bemerkung gemacht, aber ich hatte das Gefühl, das hat er zwanghaft unterdrückt, damit er bei seinen Schadensersatzsatzforderungen keine Einsprüche bekommt
Adrian: Ich habe da keine Delle und keinen Kratzer gesehen
Tickla: Kann sein, dass ich das Auto mit der Fahrradtasche berührt habe, aber die war ja leer, und da wird vielleicht der Staub weggewischt aber doch nicht das Blech von so einem riesigen Auto beschädigt.
Adrian: Ich habe mir das gar nicht so genau angeschaut, aber gesehen habe ich nichts
Adrian: Der hat gesagt, ich soll die Klappe halten, weil ich ja gar nichts gesehen habe, und das stimmt in den Sinn, dass ich tatsächlich nicht gesehen habe, wie Tickla an dem Auto vorbeifuhr, ich habe nur gemerkt, dass sie nicht mehr hinter mir ist.
Tickla: Und plötzlich, ohne ersichtlichen Grund tritt Adrian mit voller Kraft gegen die Autotür. Ob da jetzt eine Delle von mir war oder nicht, das konnte man ab diesem Moment nicht mehr feststellen
Adrian: Es gab da wohl einen kurzen Moment des Kontrollverlustes, da habe ich dagegengetreten, und habe mich gewundert, dass dieses dicke Auto so wenig Widerstand entgegensetzt. Aber es war ein Reflex, gegen diese Rechthaberische, gegen die arrogante Haltung, von diesem Menschen, der hat uns als Radfahrer wie Menschen zweiter Klasse behandelt, die seinem heiligen Auto nicht zu nahekommen sollen.
Tickla: Adrian wollte auch noch den Spiegel abreißen, aber das klappte nicht so leicht.
Adrian: Die tauschen doch sowieso die ganze Tür aus, also wird nicht teurer wenn ich den Spiegel demoliere, aber der Typ hat gelitten, das war für ihn, als würde man ihm in die Eier treten.
Tickla: So wie der aussah, dachte ich, er würde auf Adrian losgehen, aber da war er doch ziemlich kontrolliert, irgendwas hat er gesagt, was war das? Das Wort kannte ich nicht.
Adrian: Er hat mich als Schwuchtel beschimpft, ob ich wahnsinnig sein. Wahnsinnig bin ich nicht, ich war nur etwas verkatert. Aber bei klarem Bewusstsein, das muss ich zugeben
Tickla: Adrian hat seine Visitenkarte auf dem Portemonnaie gezogen und hat sie dem Typen in die Hand gedrückt
Adrian: Der fing natürlich an, mit seinem Handy rumzufuchteln und wollte die Polizei holen, aber ich sagt ihm, ich komme für den Schaden an ihrem Kleinwagen auf, das regelt mein Anwalt. Das war etwas angeberisch, aber das sollte es auch sein. Gönne ich mir halt einmal im Jahr den Spaß, eine Autotür zu demolieren
Tickla: Die Polizei kam dann von alleine, weil die bei dem Imbiss auf der anderen Straßenseite essen wollten
Adrian: Als die Polizei da war, meinte der Autofahrer, ich sei ein Verbrecher, Terrorist, und er hätte mit mir gar nichts zu tun haben wollen, ihm ging es ja nur um die dumme Fahrradfahrerin, er sagte wirklich „dumme“ die ihm das Auto angekratzt hätte.
Tickla: Der Polizist hat eine Bemerkung gemacht, ob Adrian mir hätte imponieren wollen, da hat Adrian, so komisch geschaut, aber ich dachte eigentlich, Adrian sei vielleicht noch betrunken, von gestern.
Rechtsanwalt: Zivilrechtlich gesehen ist man dann in der Regel dazu verpflichtet, den verursachten Schaden gegenüber dem Geschädigten wieder auszugleichen, sogenannter Schadensersatzanspruch des Geschädigten. Das haben sie von vorne herein in Kauf genommen, aber Strafrechtlich gesehen hat man sich wegen einer Sachbeschädigung nach § 303 StGB zu verantworten. Das Gesetz sieht hierfür eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren vor.
Wenn es da zu einer Anzeige kommt, wird von ihnen erwartet, dass sie Reue zeigen!
Adrian: Wirklich?
Rechtsanwalt: Ja, das sollten sie, wenn sie da glimpflich herauskommen wollen, oder soll das Ganze ein Schauprozess für eine ökologische Weltrevolution werden? Dann würde ich ihnen empfehlen, sich die Rückdeckung einer der großen Umwelt NGOs zu holen, Greenpeace oder so, und die haben dann spezialisierte Anwälte, aber ich denke, das ist gibt die Sache nicht her.
Adrian: Das können wir nicht so aufblasen, das rechtfertigt der Sachverhalt keineswegs. Ich bereue schon, dass ich zu viel getrunken hatte, am Tag vorher, und ich bereue auch, dass ich verkatert am Straßenverkehr teilgenommen habe, weil ich frisches Gemüse am Wochenmarkt kaufen wollte, und wenn es sein muss bereue ich auch, dass ich mich in die Probleme meiner guten Freundin und Mitbewohnerin Tickla unangemessen eingemischt habe, aber es fällt mir sehr schwer zu bereuen, dass diesem unsympathischen Autofaschisten die Tür verbeult wurde.
Rechtsanwalt: Es fällt ihnen schwer, aber es wird schon gehen, wenn es nötig ist! Und das Wort Autofaschist sollten sie auf jeden Fall vermeiden, wenn sie das benutzen, können sie das Strafmaß, beim richtigen, oder vielmehr beim falschen, Richter problemlos verdoppeln.

Szene 14: Im WG-Gemeinschaftsbereich
Adrian liegt allein im Gemeinschaftszimmer auf dem Sofa. Er wirkt zerknirscht. Dann erhebt er sich träge und schaut in Richtung des Flurs, lässt sich wieder fallen, aber schließlich schaut er nochmal von einer anderen Position, geht dann zur Ecke, bestaunt ein Heiligenbild, das dort hängt. Bisher hatte er es gar nicht wahrgenommen. Schließlich klopft er bei Carlos.
Adrian: Carlos?
Carlos (durch die Tür): komm rein!
Adrian: Komm raus
Carlos: (Steckt den Kopf durch die Tür) Was gibt’s?
Adrian: Ich wollte mal was fragen. Hier ist so ein geheimnisvolles Bild, hast du das hingehängt?
Carlos: Das ist nicht geheimnisvoll, das ist die heilige Corona, ich musste sie dahinhängen
Adrian: Du musstest? Hast du ein Gelübde abgelegt
Carlos: Das ist komplizierter. Meine Mutter! Meine Mutter hat mir das Bild gegeben, weil es dem Onkel schlecht geht, der ist in Geldnot, und meine Mutter ist überzeugt, dass es gut für den Onkel ist, wenn ich hier 12000 km entfernt eine Kerze hinstelle, und trotzdem, obwohl es Quatsch ist, habe ich es der Mama versprochen und dann haben wir geskypt, und dann fragt sie mich, wo das Bild der heiligen Corona ist, die Patronin des Geldes, der Metzger und der Schatzsucher. Ich musste meiner Mutter per Webcam das ganze Zimmer zeigen, weil sie das Bild sehen wollte, da habe ich behauptet, es hängt im Flur, damit sie sich beruhigt. Aber ich habe auch gesagt, dass ich ihr den Flur nicht zeigen kann, weil das Kabel zu kurz ist. Das hat sie geglaubt.
Adrian: Jetzt hängt die heilige Corona zum Wohle deines verarmten Onkels doch hier?
Carlos: Ich kann meine Mutter nicht belügen, darum habe ich es hingehängt, nachträglich. Vorgestern, und wenn ich eine Kerze habe, werde ich auch die Kerze anzünden.
Adrian: Geh mal da rüber
Carlos: Wo rüber?
Adrian: Da, zu Ticklas Tür
Adrian bringt sich auf Position und schaut auf die Spiegelung, die sich im Heiligenbild ergibt
Carlos: Was machst du da?
Adrian: Jetzt geh mal zu Ravis Tür
Carlos: Da bin ich doch schon,
Adrian: Bist du nicht, mach mal den einen Schritt von Ticklas Tür zu Ravis Tür
Carlos: So?
Adrian: Ja, und jetzt zurück und jetzt bitte auch noch zu Havins Tür
Carlos: so?
Adrian: Wo bist du jetzt?
Carlos: Ich bin vor Havins Tür
Adrian: Also noch mal den Bewegungsablauf von Ticklas Tür zu Havins Tür
Carlos: Tickla, Havin (Er sagt den Namen jeweils, wenn er auf der Schwelle steht)
Adrian: Und jetzt zum Vergleich Tickla, Ravi
Carlos: Tickla, Ravi
Adrian sagt nichts, sondern lässt sich wieder aufs Sofa fallen
Carlos: (nach einer Weile) Und jetzt? … bist du noch da?
Adrian: Ne, ich bin weg
Carlos: Wie?
Carlos kommt um die Ecke: Und was soll das?
Adrian: Sag ich nicht
Carlo: Soll ich Corona wegnehmen und die heilige Tickla hinhängen?
Adrian: In der Spiegelung der heiligen Corona habe ich es gesehen, wie die unheilige Tickla nachts den Flur überquert hat, aber man kann es nicht unterscheiden, wo sie hin ist
Carlos: Den Flur überquert, wieso?
Adrian (flüstert): Es wird vermutet, dass sie zu Ravi ist
Carlos: Nein!
Adrian: Hast du was gehört?
Carlos: Nein!
Adrian: Oder was gesehen?
Carlos: Nein!
Adrian: Sagst du immer nein?
Carlos: Nein! … Ich sage nur nein, wenn ich nein meine!


Ende von Folge Vier
Weiter zu Folge Fünf

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