Unsere kleine Welt-WG 5/1

Folge 5: Im Effizenzrausch

Szene 1: Große Laborhalle
Laborhalle mit der Hochtemperaturwärmepumpe, an der Ravi mit seinem Team forscht. Die Hochtemperaturwärmepumpe besteht aus einem Gewirr von Edelstahlröhren, Leitungen und elektrischen Verbindungen. Der Raum ist gedämpft beleuchtet, aber die Bauteile der Wärmepumpe glänzen, weil einige Scheinwerfer entsprechend positioniert wurden. Carlos steckt Ravi das Mikrofon ans T-Shirt. Frank Schubert, der Fotograf ist auch dabei und versteckt kleine Akkulampen in der Versuchsanlage, Ravi beobachtet ihn misstrauisch. Adrian hat ein paar Stichwortzettel in der Hand und wirkt fahrig.

Carlos: Heute hättest du deinen schicken Anzug anziehen sollen, da könnte man das Mikrofon viel besser festmachen
Ravi: Ich dachte ich soll cool und unbekümmert sein
Adrian: Das bist du doch sowieso…
Ravi: Stell mir bloß keine Frage nach dem Kältemittel, das ist immer noch hart umkämpft, zwischen mir und dem Professor Institutsleiter
Adrian: Es geht ja gar nicht um die Technik an sich, es geht um die Forschungsbedingungen
Ravi: Hängt aber manchmal eng zusammen
Adrian: Aber kannst du versuchen, es allgemein zu fassen…
(es beginnt laut zu brummen, Bohrmaschine oder so etwas)
Carlos (zieht den Kopfhörer von den Ohren): Was ist das denn?
Ravi: (Steh auf obwohl er Kabel hängt) Die hängen den Schaltschrank um.
Carlos: Halt, sitzen bleiben
Ravi: Was ist?
Carlos: Du hängst am Kabel, du kannst nicht einfach davonspazieren
Ravi: Und wer sagt jetzt meinen Kollegen, dass sie später bohren sollen?
Fotograf: Ich versuch es mal, die Lampen sind gesetzt.
Es kommt Gerlinde Girlande, wirkt gestresst.
Gerlinde: Da sind sie ja Herr Miller,
Ravi: Ich habe ihnen gesagt, dass ich hier bin, und ich habe auch gesagt, dass ich nicht gestört werden will
Gerlinde: ja, aber, (sie flüstert Ravi etwas ins Ohr, tuschelt, flüstert)
Ravi: Ist denn Herr Kühlhammer nicht zu erreichen?
Gerlinde: Doch, aber er hat gesagt, sie sollen sich drum kümmern.
Ravi: Dann kann’s ja nicht so schlimm sein…
Gerlinde: Sie haben Schweiß auf der Stirn, soll ich das mal abtupfen?
Ravi: Nicht nötig
Adrian: Machen sie das ruhig, das sieht besser aus
Gerlinde drückt Ravi ein paar Zettel in die Hand, man sieht die Blockdiagramme von Havins Mietberechnung
Ravi: Das brauche ich jetzt hier überhaupt nicht! Das sollten sie mir auf den Schreibtisch legen
Fotograf kommt: Die Männer mit der Bohrmaschine geben jetzt erst mal Ruhe,
Er schaut Ravi prüfend an, während Gerlinde ihm auf der Stirn mit dem Tempotaschentuch herumtupft
Fotograf: Soll ich noch ein bisschen mehr Hinterlicht geben?
Carlos: Finde ich gut.
Adrian: Aber es soll nicht zu pathetisch sein, schon sachlich, dezent
Fotograf: Die Maschine glänzt so schön… da soll er nicht abfallen
Gerlinde: Soll ich noch mehr tupfen, oder ein bisschen pudern
Ravi: Lassen sie mich bloß mit Puder in Ruhe, und das ist vertraulich (er reicht ihr die Drucke mit den Diagrammen hin)
Gerlinde: Ich wollte nur behilflich sein
Adrian: Dann sind wir so weit, mach die Kamera an
Ravi: Moment mal, Frau Girlande, wollen sie nicht zurück ins Büro und das Telefon bewachen.
Gerlinde: Ich habe es umgeleitet,… ich finde das ganz interessant und dachte, das könnte ich mir mal anschauen, wenn bei uns gefilmt wird.
Ravi: Nein, nein, das ist nicht interessant,
Gerlinde: Ich wollte dabei sein
Carlos: Aber ich höre ein Handy im Kopfhörer, das sendet, können sie es bitte ausschalten, shute!
Gerlinde: Das kann ich nicht, das Bürotelefon ist auf das Handy umgeleitet
Ravi: Frau Girlande, da wird nicht diskutiert, sie verschwinden in ihr Büro, alles weitere später
Girlande: (sie tupft noch mal seine Stirn ab) Nicht aufregen, da fangen sie nur zu schwitzen an, und das sieht nicht gut aus. Jetzt beruhigen sie sich, ich gehe.
Ravi: (zu Adrian) Fragst du mich auch, ob mich meine Sekretärin bei der Forschung gut unterstützt?
Adrian: Das hatte ich eigentlich nicht vor, aber im übertragenen Sinn hängt natürlich alles mit allem zusammen.
Ravi: Jaja, die Versuchsanlage mit dem Schaltschrank und der Schaltschrank mit der Bohrmaschine, und die Bohrmaschine mit der Tonaufnahme und die Tonaufnahme mit dem Handyempfang, und der Handyempfang mit meiner dussligen Sekretärin.
Adrian: Kamera?
Carlos: Kamera läuft
Adrian: Dann fangen wir jetzt an, Ravi. Herr Miller! Können sie mit kurzen Worten ihr Forschungsprojekt umreißen?

Szene 2: Tagebaufolgelandschaften, Lausitz
Die Umgebung von Cottbus ist weitgehend flach. Die landwirtschaftlichen Nutzflächen sind sehr groß, da sie aus den früheren LPGs hervorgegangen sind. Die riesigen Tagebaulöcher kann man meist erst dann sehen, wenn man direkt vor ihnen steht. In der Nähe von Weißwasser gibt es ein sehr beeindruckendes Panorama über den Tagebau Nochten mit dem Kraftwerk Boxberg im Hintergrund.
Tickla und Prof Eichhorn fahren mit dem Gastprofessor Morton Westerlund aus Dänemark im Jeep durch die Lausitz, um ihn sowohl eine Pilotanlage zur Gasproduktion, als auch die Tagebau- und Tagebaufolgelandschaften zu zeigen. Havin ist ebenfalls dabei, weil sie als Informatikerin immer nur am Computer sitzt und Tickla meinte, sie soll sich das auch einmal anschauen.

Westerlund (spricht mit Akzent): Das ist ja wirklich eindrucksvoll, schade, dass es technologisch der falsche Weg ist.
Eichhorn: Es ist leider nicht nachvollziehbar, wieso die heimische Bevölkerung geradezu darauf versessen ist, solche Löcher zu buddeln und ihre Heimat durchzupflügen, so dass das unterste nach oben kommt, mit verheerenden Folgen
Havin: Das ist doch normal, bei mir zuhause lieben die, die in den Bergen wohnen die Berge, und die aus der Wüste lieben die Wüste.
Eichhorn: Aber hier ist die Wüste selbstverschuldet
Havin: Dann erst recht! Die Menschen lieben, was sie verursachen, auch wenn es Mist ist
Eichhorn: Darum ist der einzige Weg, den Mist zu akzeptieren und Biogas daraus zu machen.
Westerlung: Und sie Frau… ich habe ihren Namen jetzt nicht präsent
Havin: Sagen sie einfach Havin zu mir, mein Nachname ist kompliziert. Ich bin Informatikerin und habe mit dem Gas gar nichts zu tun und mit der Kohle auch nicht. Tickla hat mir angeboten, dass ich mitfahre und mir das mal anschaue, weil ich es noch nie gesehen habe.
Westerlund: So wie ich. Das gibt es in Dänemark nicht, aber dafür haben wir ein Land voller Gülle und Mist.
Havin: Ich bin, was die Mathematik angeht, Spezialistin für Optimierungen. Aber wenn ich die Mathematik in der Realität anwenden will, habe ich immer die Probleme der Parametrisierung von nicht skalierbaren Werten. Was ist schlimmer: Eine Million Liter Gülle oder 30 Quadratkilometer devastierte Landschaft?
Westerlund: Wir machen die Gülle zu Gold, dann ist das Problem gelöst
Tickla: Vor 70 Jahren hat man das hier auch so gesehen, macht die Kohle zu Gold, und immerhin haben viele daran verdient. Bei mir zuhause sind die Berge inzwischen entwaldet, das ist entsetzlich, aber die Leute sind immer noch arm.
Eichhorn: Aber jetzt Schluss mit den Katastrophenszenarien, wenn ich das zu lange sehe, schlägt es mir auf die Stimmung, wir fahren zur Biogasanlage, die stinkt zwar, aber sie ist nachhaltig.

Szene 3: Lausitz, Biogasanlage
Der Jeep mit Tickla und den anderen fährt auf eine Biogasanlage zu, Luftaufnahme.

Eichhorn: Diese Anlage kooperiert mit unserem Lehrstuhl, damit der Anteil von Nahrungsmittelpflanzen immer weiter reduziert werden kann und bei jedem Mischungsverhältnis vergleichbare Gasmengen entstehen. Im Labor können wir uns dann die dezentralen Anlagen von Frau Okpar ansehen, da erzeugen wir aus jeder vollgeschissenen Windel auch noch ein bisschen Energie, wenn ich das mal so salopp formulieren darf.
Westerlund: Nach unseren Erfahrungen können kleine Lösungen zwar physikalisch, chemisch sehr effektiv sein, aber sie setzen sich nicht durch, weil niemand genug Geld daran verdient. Man kann damit zwar Geld sparen, aber das motiviert die Menschen viel weniger, als Geld verdienen.
Eichhorn: Vermutlich interessieren sich nur Selbstversorgungs-Freaks dafür und arme Menschen, aber so arme Menschen gibt es hier gar nicht. Wer stellt sich einen Reaktor auf den Balkon, wenn er die Heizkosten als Bürgergeld bekommt? Das schränkt nur den Platz für den Bierkasten oder die Cannabis-Blumentöpfe ein.

Szene 4: im Forschungszentrum
Ravi und Adrian gehen den Flur entlang, Adrian mit einer Fototasche, hinter ihnen mit Abstand Carlos und der Fotograf, jeweils mit Techniktaschen.
Ravi: Zur Zeit ist da ganz viel Dynamik in den Aktivitäten, kaum taucht ein Problem auf, stellen wir fest, dass ein anderer von uns damit bereits die richtigen Erfahrungen hat, um es zu lösen. Ob das Glück oder Fügung oder das Geschick der Personalpolitik war? Egal, es passt einfach gut zusammen. Auch das Budget ist groß und noch reicht es für alles, was wir brauchen. In den drei Monaten, in denen ich hier bin, haben wir schon ganz viel bewegt. Es gibt Arbeitsgruppen, da ist nach drei Monaten noch nicht mal das Computernetzwerk richtig verbunden, aber hier flutscht es (besser englischer Slang) Wenn wir mit dem Drive weitermachen, wird es ein Erfolg
Adrian: Super, jetzt hast du das knapp und prägnant gesagt, das wäre gut für das Interview gewesen
Ravi: Ich habe doch alles erklärt
Adrian: Die anderen Erklärungen waren ziemlich kompliziert
Ravi: Weil das Thema kompliziert ist
Adrian: Ich werde mir das Videomaterial mal anschauen

Sie sind inzwischen in Ravis Büro angelangt, dort liegen die Ausdrucke des Mietverteilungsdiagrammes auf dem Schreibtisch.
Adrian: Und hast du dir unsere Miet- und Nebenkostendiagramme zur Kenntnis genommen, alle Optionen analysiert
Ravi: Ja, ja, sieht aus als wolltest du dich bei Tickla beliebt machen
Adrian: Alle wollen sich bei Tickla beliebt machen!
Ravi: Aber du besonders!

Szene 5: Labor Biogasanlagen
Carlos ist gerade beim Aufräumen. Er wischt schmodderige Güllereste weg und öffnet einen stinkenden Behälter, den er dann entleert.
Eichhörnchen, Westerlund und Tickla kommen
Eichhorn: Hallo Herr Sanchez, laufen die Reaktoren?
Carlos: Es blubbert und stinkt, alles läuft
Tickla: Meine Reaktoren sind so konstruiert, dass sie als Do-It-Yourself-Lösung einfach realisierbar sind und immer funktionieren. Der Wirkungsgrad ist aber stark von den Rohstoffen abhängig. Hier ist ein Reaktor, der entwickelt besonders viel Druck,… Carlos, was ist denn hier drin, der ist ja gar nicht gekennzeichnet?
Carlos: Das ist ein kleines Extraexperiment von mir, mit geheimen Zutaten
Tickla: Die männlichen Mitarbeiter bei Biogasprojekten kommen immer früher oder später auf die Idee, mit Urin zu experimentieren. Aber bis jetzt hat es bei uns noch keiner systematisch untersucht
Carlos: Du hast mich durchschaut
Tickla: Es ist ja auch naheliegend, vor allem unter Berücksichtigung deiner mentalen Verfassung am Samstag
Carlos: Aber interessante Werte
Tiakla: (schaut auf das Datenblatt oder den Monitor) Ja, durchaus, vielleicht liegt es am Restalkohol
Westerlund: Die Rohstoffe aus mobilen Toiletten ergeben das beste Gas, wenn viel Bier getrunken wird. Das konnten wir nachweisen. Aber das ist kein notwendiger Grund für kollektiven Alkoholismus.

Szene 6: WG, Gemeinschaftszimmer
Blockdiagramme von Havins Mietberechnung hängen an der Wand
Adrian: Liebe Mitbewohner, schön, dass ihre alle Zeit gefunden habt, wir müssen etwas entscheiden, nämlich die Frage, wie wir die gestiegenen Nebenkosten und die Mieterhöhung aufteilen. Havin hat uns das in hübschen Blockdiagrammen dargestellt, wobei die verschiedenen Ansätze zu unterschiedlichen Lösungen führen, naja, das ist ja klar.
Es geht vor allem um die unterschiedliche Bewertung von privatem und kollektiven Raum.
Es geht aber auch darum, dass die Unterschiede in unseren Bedürfnissen relativ klein sind, im Vergleich zu den Unterschieden der finanziellen Möglichkeiten.
Carlos: Ich sehe in allen Diagrammen immer einen beträchtlichen Unterschied zwischen Tickla und mir, dabei ist sie meine Chefin.
Tickla: Chefin hört sich gut an, aber ich verdiene nicht mehr als du und schicke meiner Mutter regelmäßig Geld, auf das sie angewiesen ist.
Carlos: Ich würde auch gerne was schicken, aber es reicht nicht, es bleibt einfach nichts übrig

Adrian: Braucht deine Mutter das Geld dringend, ich dachte, ihr genügt der Beistand der heiligen Corona?
Havin: Emotionen rausnehmen. Tickla kommt in den verschiedenen Modellen immer so gut weg, weil das kleine Zimmer weniger als halb so groß ist, wie das von Carlos
Adrian: Ist es überhaupt Konsens, dass wir für die Bestimmung der Miete, die Einkommensverhältnisse miteinfließen lassen
Havin: Ich habe für dieses Modell unsere Tariflöhne als Referenz herangezogen, aus rein pragmatischen Gründen, denn die Erfassung und Bewertung der individuellen Vermögenswerte ist nicht machbar. Zumindest sehe ich mich außerstande, dies durchzuführen.
Ravi: Das ist alles zu kompliziert und ungerecht gegenüber Carlos. Ich finde, wir sollten eine einfache Lösung für Miete und Nebenkosten nehmen, so wie Diagramm Nr 2. Und gleichzeitig richten wir einen regelmäßigen Money Transfer ein, so dass die Familienangehörige, die darauf angewiesen sind, monatlich einen festen Betrag bekommen. Ich bin bereit, da etwas einzuzahlen, Adrian vermutlich auch, Havin, wie ist das bei dir?
Havin: Meine Eltern sind versorgt, sie beuten erfolgreich iranische Kleinbauern aus, an syrischen Flüchtlingen bereichern sie sich auch, denen muss ich nichts schicken. Ich kann etwas beitragen
Adrian: Du hast dir so viel Mühe mit den Rechnungen gemacht
Havin: Das war nicht der Rede wert, es ist nur eine Fallstudie, die zeigt, dass ich durch geschickt gewählte Parametrisierung ein sehr großes Spektrum an Ergebnissen erzielen kann, die alle rechnerisch richtig sind und auch begründet werden können.
Adrian: Beschlussfassung erfolgreich?
Alle nicken oder sagen Ja
Havin: Kirschsaft für alle? Alkohol kriegt ihr nicht so schnell wieder, die Kollateral-Schäden beim letzten Mal waren zu hoch
Adrian: Was für Schäden?
Havin: Ich würde die Eskalation des Fahrrad-Auto-Konfliktes durchaus als Folgeschaden einstufen
Adrian: Nur eine kaputte Autotür, aber das war ein politisches Statement.
Ticklas: Die Versuchsreihe, die Carlos am Hang-Over-Saturday angesetzt hat, ist zwar etwas schlampig dokumentiert, aber es sieht aus, als sei ihm da etwas Innovation gelungen
Ravi: Ich habe am Hangover-Samstag einfach nichts gemacht, da konnte also auch nichts schiefgehen.
Adrian: Also unter dem Strich gar nicht so schlimm!
Havin: Das ist ein recht oberflächliche Betrachtung, darf ich mal versuchen das zu parametrieren, ihr wisst schon als Fall-Beispiel und Diskussions-Anregung

Szene 7: Virtuelle Vortragssituation
Während Havin spricht werden Skizzen und Zahlen eingeblendet, die das gesagte illustrieren, teilweise auf sehr abstrakte oder ironische Weise.

Havin: Wir gehen davon aus, dass die Reparatur 4000 Euro kosten wird, was Adrian zu bezahlen hat. Da aber Geld nur ein Konstrukt ist, versuchen wir diesen Betrag zu transformieren, zum Beispiel in Lebenszeit. Adrian kann pro Monat, wenn er sehr sparsam ist, eventuell 2000 Euro beiseitelegen, was bedeutet, dass der Gegenwert für die Tür darin besteht, dass er zwei Monate lang auf die Freiheit, ungehemmt zu konsumieren, verzichten muss. Da er aber gleichzeitig noch Ersparnisse hat, aus denen er den Betrag begleichen kann, braucht er auf gar nichts zu verzichten, sondern verliert nur eine Sicherheitsreserve, die für eine Notfallversorgung von vier Monaten reichen könnte, wenn alle anderen Erwerbsquellen verschwinden. Dritte Kompensationsmöglichkeit: Er verzichtet auf eine verzichtbare Anschaffung in Höhe von 4000 €, er kauft also kein Luxusfahrrad oder unternimmt keine transkontinentale Reise.
Weitere Negative Aufwendungen sind der mentale Schaden oder vielmehr die Betroffenheit durch Schuldgefühle. Es könnte allerdings sein, dass Adrian einen mentalen Gewinn durch Schadenfreude hat, was moralisch fragwürdig ist, aber trotzdem motivierend sein kann.
Auf jeden Fall ist aber die juristische Aufarbeitung des Vorfalls eine Angelegenheit, die Zeit kostet, die einen Anwalt kostet und mentale Energie verbraucht und je nachdem, wie das Verfahren ausgeht womöglich auch noch weiteres Geld kostet. Auch für den Geschädigten sind nicht unbeträchtliche Mengen von Lebenszeit durch diesen Vorfall stark beeinträchtigt, auch wenn ihm die Reparatur bezahlt werden sollte, hat er dann doch immerhin Arbeit damit, das Auto zur Werkstatt zu bringen, abzuholen, etc. Kommen wir zu den positiven Energien, die mit den negativen Aufwendungen in Relation zu setzen sind. Da wäre, wie schon erwähnt, Schadenfreude oder Befriedigung oder ein kommunikativer Selbstverwirklichungsprozess für Adrian. Gehen wir davon aus, dass er das empfindet, so haben wir hier einen positiven Eintrag. Auch Tickla könnte durch die Tatsache, dass Adrian für sie Partei ergriffen hat, positive mentale Energie bekommen, oder durch die Erleichterung, dass ihre vermeintliche Beschädigung des Autos durch Adrians Aktion annulliert wurde.
Auch der Autobesitzer könnte eventuell positiv empfinden, das halten wir aber alle für sehr unwahrscheinlich. Vermutlich ist sein mentaler Beitrag negativ und vielleicht der größte von allen. Kommen wir noch zu den Effekten zweiter Ordnung, die Außenwirkung: Stellt euch vor, die Bild Zeitung berichtet über den Vorfall und verunglimpft dabei alle Fahrradfahrer und stilisiert sie zu Terroristen. Das würde bei 50 Millionen Autofahrern, die es in Deutschland gibt, die negative Energie ansteigen lassen, zwar bei jedem einzelnen nur sehr wenig, aber es zählt das Produkt.
Umgekehrt könnte Adrian durch soziale Medien oder ein virales Video zum Held der Fahrradfahrer weltweit werden was vermutlich eine geringere positive mentale Energie bewirkt, weil die Anzahl der Fahrradfahrer geringer ist, als die Anzahl der Autofahrer.
Das waren erst einmal die Summanden, aus denen meine Mental-energetische Bewertungsgröße zusammengesetzt ist. Wir brauchen jetzt noch Wichtungsfaktoren, die einfließen lassen, wie stark Adrian vom finanziellen Verlust mental betroffen ist, mit welcher emotionaler Stärke der geschädigte Autofahrer reagiert, wie groß die mediale Verbreitung des Vorfalls ist und vieles mehr.
Durch Veränderung der Wichtungsfaktoren kann ich ganz unterschiedliche Ergebnisse erzielen, und die Wichtungsfaktoren sind geradezu beliebig ansetzbar. Ein Beispiel wäre der Wechselkurs zwischen Geld und mentaler Energie, wieviel Geld gebe ich für eine Emotion aus, oder umgekehrt wieviel Emotion bekomme ich für einen bestimmten Geldbetrag. Das ist nur einer, von vielen Wichtungsfaktoren, die für jeden Beteiligten anders sind.

Szene 8: WG, Gemeinschaftsbereich
Ravi: Das bedeutet aber, dass diese Rechnung keinerlei Aussagekraft hat!
Havin: Ja! Was ich aber sehr gut zeigen kann, ist die enorme Wirkungsverstärkung durch direkte und indirekte Nachahmungsaktivitäten, oder auch durch Vorbildfunktion.
Nehme ich die Reaktorkatastrophe von Fukushima, dann hat das Kraftwerk einerseits Energie produziert und den Mitarbeitern Gehälter ausgezahlt. Dem gegenüber steht der Schaden der Havarie und eine beträchtliche Menge an Atommüll, die bereits im ungestörten Betrieb angefallen war. Eventuell auch Krankheitssymptome durch einen statistischen Anstieg bestimmter Krankheiten wegen der Radioaktivität.
Deutschland ist als Folge der Havarie von Fukushima aus der Atomenergie ausgestiegen. Wenn wir Risiken, Atommüll und Krankheitsanstieg mit einem hohen Wichtungsfaktor versehen, dann führt dies zu einer Verbesserung der Gesamtschadensbilanz in Japan. Ich kann aber auch den Wichtungsfaktor für Krankheit, Risiko und Atommüll niedrig ansetzen und dann haben wir den umgekehrten Effekt, den dann wirkt sich der NICHT produzierte Strom der abgeschalteten deutschen Kraftwerke als Verschlechterung auf die Bilanz des japanischen Kraftwerks aus. Man muss aber auch sagen, dass durch die kleinen Wichtungsfaktoren der japanische Anteil des Schadens drastisch kleiner geworden ist. Denn wenn wir Atommüll, Krankheitsrisiko und Risiken in Deutschland niedrig bewerten, müssen wir das auch in Japan tun. Diese Gleichbehandlung von Bewertungen findet in der internationalen Interaktion meistens NICHT statt. Wie unsere Mitbewohnerin Tickla so treffend sagt: Um einen Lausitzer Bergbauangestellten, der seinen Arbeitsplatz in Gefahr sieht, zu beruhigen, bekommt er statistisch gesehen das zehnfache an staatlicher Unterstützung, wie eine vom Klimawandel existentiell betroffene afrikanische Großfamilie.
Tickla: Obwohl er in vielen Fällen mittelbar an ihren Problemen schuld ist.

Angeregt von Havins Erläuterungen schildert Ravi ein Beispiel, aus der technischen Geschichte. Auch sein Vortrag beginnt im WG-Gemeinschaftsbereich, wird aber grafisch durch Skizzen, Diagramme und Bildmaterial unterstützt und entfernt sich immer weiter von der Situation in der WG.
Ravi: Ich habe eine Aufwand-Nutzen-Analyse für den teuersten Vergnügungsparkt in Mitteleuropa zusammengestellt, das Wunderland Kalkar! Denn in Kalkar begann man 1973 mit dem Bau eines Atomkraftwerkes, dem Schnellen Brüter. Ihr wisst schon, die Schnellen Brüter sind die mit den schnellen Elektronen und der Natriumkühlung. Außerdem kann man waffenfähiges Plutonium erzeugen. 7 Milliarden DM hat das damals gekostet, die Bauruine bis 1986 hochzuziehen, aber sie ging nie in Betrieb. Allerdings muss man diese 7 Milliarden Aufwand auf jeden Fall noch mit einem Aufschlag für die vielen Demonstrationen, den gerichtlichen Auseinandersetzungen, Polizeieinsätze und eine Entschädigungszahlung an die Stadt Kalkar versehen. Denn als 1991 endgültig beschlossen wurde, dass der Brüter nicht in Betrieb geht, bekam die Gemeinde, die den ganzen Stress über sich ergehen hatte lassen, immerhin 60 Millionen Euro. Ein paar Jahr später verkaufte das Land alles an einen Investor für 2,5 Millionen, also lumpige 1,4 % der Baukosten. Zum Glück hatte niemand das Ding eingeschaltet, sonst hätte man es wegen der Strahlenbelastung nie verkaufen können.
Aber der Freizeitpark Wunderland Kalkar läuft inzwischen ganz gut, hat 300 Angestellte und ich würde sagen, hier haben wir es ganz klar mit einem der Topfavoriten für die ineffizientesten Großprojekte Mitteleuropas zu tun. Bitte Applaus für das Wunderland Kalkar!

Wieder in der Gesprächsrunde im Gemeinschaftszimmer, auf dem Bildschirm ist ein Block-Diagramme zu sehen, das die Auswirkung von Fukushima, dem Schnellen Brüter und Adrians Auto-Aktivismus darstellt. Allerdings ist Adrians Beitrag so klein, dass er nur zu sehen ist, wenn Havin die Skala vergrößert.
Havin: Auch wenn die Skalen und Maßeinheiten nicht klar definiert sind, kann man hier zumindest erkennen, dass eine, von der Öffentlichkeit nur wenig wahrgenommener Investitionsruine, in beachtliche Nähe zu einer extremen Großkatastrophe kommt. Der Anti-Auto-Aktivismus von Adrian Wimmer-Hartman verschwindet dagegen im Rauschen der Messungenauigkeit, ich muss in meiner Skala zoomen und zoomen, bis ich ihn sehen kann. Einzelaktivismus zieht recht kleine Kreise.
Adrian: Aber du musst über die Wirkung aller 8 Milliarden Einzelaktivisten integrieren.
Havin: Danke für die Anregung, das mache ich frühestens morgen

Szene 9: Adrians Büro
Adrian sitzt gemeinsam mit Carlos am Computer und sichtet das Interview von Ravi
Carlos: Ist es gut?
Adrian: Das Bild ist super. Das Licht auch. Wie diese Wärmepumpe funkelt, das ist wie im Märchen und der Ton ist ok. Aber Ravi kommt nicht auf den Punkt.
Carlos: Zu mir hat er gesagt, die Sekretärin hätte ihn nervös gemacht,
Adrian: Er behauptet immer, jemand hätte ihn abgelenkt. Bei seinem großen Vortrag war es der Fotograf, der die Treppe runtergefallen ist, diesmal die Sekretärin. Aber wenn man sich das in Ruhe anschaut, dieses Interview: Das ist alles so konfus und unzusammenhängend! Wenn er mal was Sinnvolles sagt, dann kriegt er den Satz nicht richtig zu Ende. Ganz abgesehen davon, dass die Sätze zu lang sind. Hinterher, als die Kamera aus war, hat er mir auf dem Weg ins Büro genau das gesagt, was ich hätte hören wollen.
Carlos: Er ist leistungsfähiger, wenn er sich unbeobachtet fühlt,
Adrian: Wie meinst du das?
Carlos: Er hat Tickla geküsst…
Adrian: Wie bitte?
Carlos: Glaube ich, aber genau gesehen habe ich es nicht
Adrian: Was soll das denn heißen, hat es dir die heilige Corona zugeflüstert?
Carlos: Die wüsste vielleicht mehr. Ich habe im Vorbeigehen durch den Türspalt etwas gesehen, was ich als Kuss interpretiert habe.
Adrian: Das ist eine sehr schön formulierte Aussage für den Sachverhalt, dass du nichts Gesichertes weißt.
Carlos: Genau, und diskutieren können wir jetzt auch nicht, wir müssen los, ins Labor, Lichtkoffer ist schon dort.

Szene 10: Im Labor Biogasreaktoren
Tickla wird vor ihren Reaktoren interviewt. Die Vorbereitungen sind bereits abgeschlossen. Carlos mit Kopfhörer an der Kamera, Adrian neben ihm.
Tickla: Ich bin hochgradig motiviert, weil mich mein Thema brennend interessiert, all diese Komplikationen mit den Anträgen, der Beschaffungen, den Aufenthaltsgenehmigungen, das überstehe ich, weil ich weiß, dass meine Innovationen dort hunderten Millionen Menschen das Leben erleichtern kann. Wenn ich eine depressive Phase habe, rufe ich meine Mutter an und plötzlich kommen mir neue Ideen, das gibt mir Kraft, real Power. Ich weiß, dass ich weiter machen muss und dann geht es auch. Dann will ich und kann, lets pray to god, beware our families from war and pain, give us water, bread and energy!
Adrian: Thank you Tickla, this was very moving, but: Könntest du das auch noch mal so formulieren, dass Afrika nicht drin vorkommt, …
Tickla schaut resigniert
Adrian: Du weißt doch, es geht um den Strukturwandel, es sollte mehr auf die regionalen Probleme zugeschnitten sein
Tickla: (etwas zickig) Regionale Probleme? Sehe ich keine!
Adrian: Du weißt doch, was ich meine? Du hast dich auf diese merkwürdige Fördermittelmauschelei eingelassen, um dein Projekt durchzuziehen, den Schwindel, dass die Ergebnisse der Lausitz-Fördergelder in Afrika angewandt werden sollen, müssen wir auch im Interview aufrechterhalten. Ja, leider, dein Statement war so gut, …
But I think: Gott muss auch nicht vorkommen.
Tickla: Was soll ich bloß sagen?
Adrian: Soll ich nochmal das Stichwort geben, und du machst es spontan
Tickla: Nein, erst Nachdenken…na, ok
Adrian: Läuft die Kamera noch?
Carlos: Jetzt
Adrian: Tickla; du steckst gerade in der Anfangsphase deines Forschungsprojektes, was motiviert dich?
Tickla: Ich habe ein spannendes Thema, das mich wirklich interessiert, ich werde gut bezahlt und alles was sonst noch zu ertragen ist, die Bürokratie, die Ausschreibungsformulare, die komplizierten Förderrichtlinien, da denk ich einfach nicht dran, sondern mache es, ruck-zuck. (zickig) War das, gibt’s noch Fragen
Adrian: (schaut enttäuscht und etwas ratlos) Lass mich überlegen… Ja! Eine habe ich noch: Hast du Ravi geküsst?
Tickla: Next Question!
Adrian: Dann etwas wissenschaftlicher: Wie ist dein Oxytocin-Pegel? Und der Dopamin-Pegel von Ravi?
Tickla: What? Das Interview ist beendet!


Szene 11: In der Cafeteria
Gerlinde Girlande mit der Gleichstellungsbeauftragten Doreen. Sie trinken Kaffee, Gerlinde isst Kuchen und Doreen einen Salat. Die Beiden sind gute Freundinnen und tuscheln vertraut, zwischendurch Kichern.
Gerlinde Girlande: Der war gleich ganz nervös, weil ich ihm ein paar Schweißtropfen von der Stirn gewischt habe, aber ich will ja nichts von dem, ist gar nicht mein Typ und macht nur Ärger, mit dem Chef
Doreen: Das würde ich dir auch raten, lass die Finger von!
Gerlinde: Ich weiß auch gar nicht, ob er eine Frau hat, vielleicht in Australien, oder… Vorsicht, da kommt er ja gerade, psst
Ravi geht an die Theke und holt sich Kaffee mit Kuchen. Er bildet sich ein, dass Gerlinde sich über ihn beschwert, aber das ist ein Trugschluss, verursacht durch seine Bindungsphobie und sein Misstrauen gegenüber Frauen

Doreen: Ach der? (vielsagende Betonung)
Gerlinde: Hallo Herr Miller, gibt’s noch was?
Ravi: Nein, nein, lassen sie sich nicht stören, ich brauchte nur etwas frische Luft und einen Kuchen
Doreen: Geli kann ja mal einen für sie backen! Sie macht sehr guten Kuchen
Ravi: Nicht nötig, danke! Wir kennen uns doch auch schon, aber ich weiß nicht mehr woher
Doreen: Ich war als Gleichstellungsbeauftragte in ihrem Bewerbungsgespräch, aber seitdem haben wir uns, glaube ich, nicht mehr gesehen
Ravi: ach so, ja, ja (etwas nervös, geht weite), schönen Tag noch,… (schaut sich nochmals um)

Szene 12 In der WG-Küche
Adrian wird von Havin aufgemuntert
Adrian: Ich bin gerade in einer fatalen Stimmung, so eine miese Laune, mutlos und niedergeschlagen. In einem amerikanischen Film würde der tragische Held an seine Hausbar gehen und sich einen Whiskey einschenken.
Havin: Zum Glück sind wir eine Wohngemeinschaft mit schlechter Vorratshaltung. Kirschsaft ist da, oder aserbaidschanischer Tee, der ist sehr gut und beruhigend.
Adrian: Ich nehme den Tee.
Havin: Das ist bestimmt keine falsche Entscheidung. Wenn du noch etwas für die Aufhellung deiner Stimmung tun willst, dann empfehlen Therapeuten, Altglas und Pfandflaschen wegzubringen. Das ist eine einfache Aufgabe mit schneller Befriedigung und du wirst mit dem Pfandgeld belohnt.
Skeptischer Blick von Adrian
Havin: Das meine ich ohne Ironie und will dir auch nicht durch die Blume sagen, dass du aufräumen sollst, sondern das ist ein einfacher psychologischer Mechanismus um frustrierte Gemüter ins Gleichgewicht zu bringen

Szene 13: Am Altglascontainer
Adrian schmeißt Glas in den Container, genussvoll hört er auf das Klirren und Scheppern des zerspringenden Glases. Eine alte Frau läuft vorbei.
Frau: Wohnen sie hier, junger Mann?
Adrian: Wieso?
Frau: Wieso? Weil diese Container nur für die Bewohner dieses Hauses sind, und sie wohnen doch dort drüben!
Adrian: Es stimmt, dass ich da drüber wohne, aber ihre Schlussfolgerung teile ich nicht. Altglascontainer sind kostenlos und öffentlich, es sei denn, sie stehen im Hinterhof
Frau: Trotzdem ist es doch eine Frechheit, wenn sie hier einwerfen, obwohl es auf der anderen Seite auch einen Container gibt, und hier quillt der Container über und es ist alles voller Scherben
Adrian: Es ist nicht voll und es liegen hier auch keine Scherben, erst recht keine von mir
Frau: Seien sie nur frech, junger Mann, hier sieht’s manchmal aus, das ist zum davonlaufen
Adrian: Dann laufen sie doch davon…
Frau: Von ihnen lass ich mir das nicht sagen, ich bleibe hier
Adrian: Mir auch recht, auf Wiedersehen!
Adrian: Grrrr! (zerknüllt die Papiertüte, in der er die Flaschen transportiert hatte)


Szene 14: WG Küche
Ravi mit Havin, sie trinken aserbaidschanischen Tee
Ravi: Die saß mit der Gleichstellungsbeauftragten in der Cafeteria und die haben sich über mich unterhalten, da bin ich mir ziemlich sicher, ich glaube, die beschwert sich über mich., Aber: Ich meine das nicht böse
Havin: Was meinst du nicht böse
Ravi: Die macht so viel falsch und dann muss ich ihr das sagen, da versteht die vielleicht keine Kritik, sondern denkt ich würde sie diskriminieren
Havin: So leicht geht das aber auch nicht
Ravi: Wer weiß denn? Und dann fragt die Gleichstellungsbeauftragt, ob die Frau Girlande mir nicht mal einen Kuchen backen soll, das war doch eine Fangfrage, um mich zu provozieren
Havin: Das kann ich mir nicht vorstellen?
Ravi: Die Girlande kocht keinen Kaffee, sie sagt, das macht sie nicht, weil das nicht ihre Aufgabe ist, steht nicht in der Stellenbeschreibung. Sie kocht nur dann, wenn ich externen Besuch habe. Da müsste ich ja sonst selbst für die Gäste kochen, und das nimmt sie mir ab und sieht es als ihre Aufgabe. Ich akzeptiere das. Manchmal wäre es schon einfacher, wenn sie Kaffee machen würde, und das weiß sie, dass ich das meine, also, dass ich es akzeptiere, aber besser fände, wenn sie es täte. In diesem Kontext gesehen, war das Kuchenangebot vermutlich ein Versuch, mich aus der Reserve zu locken.
Havin: Wie?
Ravi: Wenn ich mich dann bei Frau Girlande für den Kuchen bedanke, dann heißt es im Gleichstellungsjargon: Er degradiert die Assistentin zum Kuchenbacken, geschlechterspezifische Funktionsreduktion, aber ihre Büroorganisation kritisiert er immer nur.
Havin: Ich glaube du hast eine Phobie
Ravi: Bist du nicht auch Gleichstellungsbeauftragte?
Havin: Ja, aber für die andere Fakultät. Du brauchst dir wegen mir keine Sorgen machen. Ich kann aber auch für dich und gegen Frauen Partei ergreifen


Szene 15: Am Pfandflaschenautomaten im Supermarkt
Neben Adrian ein Punk mit einem Einkaufwagen voll Flaschen und zwei Müllsäcken zusätzlich. Adrian geht an den anderen Automaten, der Automat blinkt: Fehlercode #235
Zum Glück ist noch ein dritter Automat vorhanden, den er benutzen kann. Er steckt die erste Flasche rein, sie kommt wieder raus, dann nochmal, sie kommt wieder raus, dann beim dritten Mal verschwindet sie. Adrian brummt mürrisch vor sich hin. Dann eine Büche, die er schon vorher skeptisch anschaut und in der Hand dreht, dann steckt er sie ein und sie kommt wieder raus.
Nochmal versuchen, wieder nichts, er legt sie weg, dann die nächste Flasche, Reformhausware, wird ebenfalls nicht angenommen
Adrian: Nimm das, du blöder Automat! Wenn der Pfandflaschenautomat meine Flaschen nicht entgegennimmt….
Carlos (Stimme aus dem Inneren der Rückgabestation): … empfinde ich das als persönliches Scheitern
Adrian: Ja, persönliches Scheitern, nimm diese Flasche! (er steckt die Nächste hinein)
Carlos: Nicht aufregen, das ist die richtige, 15 Cent,
Adrian: Und die hier!
Carlos: Auch richtig, und jetzt?
Adrian: Das war es schon, Carlos (er drückt auf den Pfandbonknopf), ein Euro und ein Cent, das ist nicht der Jack-Pot. Wieso bist du überhaupt noch hier?
Die Tür geht auf, Carlos winkt Adrian verschwörerisch nach drinnen

Szene 16: Leergutlager im Supermarkt, Carlos´ Arbeitsplatz
Carlos: Das hier ist mein Reich, leider bin ich gerade überlastet, da kann ich es überhaupt nicht leiden, wenn draußen jemand rumschimpft.
Adrian: Aber das funktionierte nicht, obwohl ich die Flasche hier gekauft habe. Wer bringt überhaupt Alkopops in Dosen in unseren Nachhaltigkeitshaushalt?
Carlos: Drei mal darfst du raten und helfen darfst du auch (während er redet stapelt er Kisten, sortiert Flaschen, versucht nebenbei den dritten Automaten zu resetten. Adrian beginnt bedächtig und gelangweilt auch ein paar Flaschen in Kisten zu stapeln, wird dann aber immer schneller. Ab und zu wedelt Carlos mit den Armen um ihm zu zeigen, wo er falsch ist, oder wo es etwas zu tun gibt)
Adrian: Tickla?
Carlos nickt
Adrian: (schaut eine Alkopopsdose, die er in der Hand hält, angewidert an) Was kostet sowas überhaupt? Und Du? ich dachte du verdienst dein Geld inzwischen unter Ticklas Herrschaft bei Professor Eichhörnchen.
Carlos: (mit unterdrückter Aggressivität) Das ist toll und ehrenwert, dass ihr jetzt einen Moneytransfer für Mamas und Onkels eingerichtet habt, viel danke, aber ich will auch was für meine Verwandtschaft beitragen. Und für mich selbst. Das Geld von Eichhörnchen ist eh zu wenig.
Adrian: Kann ich verstehen, Du sollst das nicht als Almosen verstehen, wir machen das, weil wir denken, dass es richtig ist.
Carlos: Aber dann schaust du dir Ticklas Dose an, und denkst darüber nach, ob so ein Mixery nicht zu teuer ist, für eine Spenden-Entgegennehmerin
Adrian: Nur, weil Dosen ökologisch gesehen Mist sind! Ihhh!….
Er hat mit der Dose gespielt und dann kam noch etwas Flüssigkeit heraus und hat ihn vollgetropft.
Adrian: Jetzt habe ich mich mit der minderwertigen Zuckerpampe aus der Ekelbüchse auch noch vollgesabbert, das habe ich verdient, wegen meiner schlechten Gedanken
Carlos: Was meinst du, was ich hier alles abkriege, an Schimmelsaft und Stinkebier, aber ein paar Stunden pro Woche finde ich den Supermarkt gut, außerdem darf ich jetzt, ganz offiziell abends Gemüse mit nach Hause nehmen, das sonst im Container landen würde. Bevor die Tafel kommt, dürfen die Mitarbeiter zugreifen, hat man so geregelt. Das ist ein Fortschritt.
Adrian: (hebt ein paar Kisten herum) Ist das hier nicht zu stressig
Carlos: Nur ab und zu, das das nennt man nicht Stress, sondern körperliche Arbeit, sowas soll es geben
Adrian: Ich muss das alles positiver sehen, du hast recht, ich bin verkopft, ideologisch überfrachtet, schnöselig, verwöhnt, missmutig, zaghaft und was weiß ich nicht noch alles
Carlos: … und auch noch unglücklich verliebt
Adrian: Nein, ich will nicht verliebt sein in meine Mitbewohnerin die eine Affäre mit dem anderen Mitbewohner hat und dann auch noch Alkopops aus der Dose trinkt! Das macht mich depressiv!
Carlos: Think positive!

Szene 17: Virtuelle Vortragssituation im Wechsel mit Adrians Zimmer
Adrian spricht, als würde er einen Vortrag halten, aber er ist alleine und niemand hört ihm zu. Der Vortrag ist ein Blick in seine Gedankenwelt. Trotzdem entsteht dabei eine Skizze, die sich an Havins Vortrag anlehnt, aber der Balken, der die mentale Energie anzeigt ist noch viel größer als die Balken von Fukuschima oder dem Schnellen Brüter.

Adrian: Ja, ich denke positiv, und wenn ich positiv denke kann ich aus mir selbst heraus glücklich werden und mich dem Konsumterrorismus entwinden, aber das ist nicht nur ein riesiges Freiheits- und Energiesparpotential, sondern auch eine schier unerschöpfliche Energiequelle, die sich selbst erneuert, die mehr wird, wenn man sie mit anderen teilt und überspringt auf andere Menschen. Solidarischer Zusammenhalt emphatischer Menschen. Statt schalem Vergnügen durch kommerzialisierte Events und Industrieprodukten echte Emotionen der gegenseitigen Wertschätzung.Das ist die einzig wahre Wertschöpfung, ohne Ressourcenverbrauch, ohne Abfallprodukte und weltweit anwendbar, selbstvervielfältigend eine Kettenreaktion des Glücksempfindens.
Wenn auch nur ein kleiner Bruchteil überspringt, so errechnet sich hier, durch die universelle, durch nichts beschränkte Teilbarkeit dieser kollektiven Empathie-Energie eine Effizienz, die gigantisch ist, die alle Grenzen sprengt und immer wieder in uns entsteht, ich nenne das Renewable Mental Energy, kurz RME und ihr Ertrag ist riesig, mein Blockdiagramm der kollektiven Empathie-Energie ragt so weit in die Höhe, dass ich es nicht im Zimmer aufhängen kann, …

Szene 18: Adrian im Treppenhaus
Seine Ausführungen zur Emphatie-Energie setzt sich unmittelbar im Treppenhaus fort.
Adrian: …sondern ins Treppenhaus gehen muss, das ist der Ertrag der erneuerbaren, mentalen Energien!

Er hat das Blockdiagramm aufgehängt und mit großer Geste präsentiert. Plötzlich stehen Alexander und ein Makler vor ihm
Adrian: Hallo Alexander!
Alexander: Hallo Adrian, lass dich nicht stören, wir sind nur im Treppenhaus und oben… Das ist Herr Schmidt von der Hausverwaltung
Adrian: Was machst du mit der Hausverwaltung?
Alexander: Es gibt Hinweise, dass das Haus verkauft wird, da wäre ich gerne auf der Interessentenliste ganz oben
Adrian: Aber das Haus wird nicht verkauft, das wüsste ich!
Alexander: Sicher?
Adrian: Sehr sicher!
Schmidt: Da wären sie nicht der erste Mieter, dem das Haus unter dem Arsch wegverkauft wird und von einer Kapitalgesellschaft zur anderen wandert, aber das ist auch nicht schlimm, weil das Mietverhältnis bestehen bleibt
Alexander: …und dann nur im Rahmen des Mieterschutzgesetzes verändert werden kann. Das macht es anspruchsvoll, aber da geht schon einiges
Adrian: Aber das Haus gehört der AHW-Haus-Und-Grundverwaltung
Schmidt: Ja, aber die AHW wird wegen eklatanter Deckungslücken gerade von der GCP aus Luxemburg geschluckt. Die stehen einem Verkauf sehr wohlwollend gegenüber
Adrian: Das kann doch gar nicht sein, die AHW gehört meinem Vater
Alexander: Vielleicht nicht mehr…
Adrian: Das sind ja unbewiesene Gerüchte, was wollt ihr hier?
Alexander: Ich besichtige das Haus mit der Absicht, es zu erwerben, aber eure Wohnung kenne ich ja schon, die muss ich nicht anschauen. Grüß die anderen!
Adrian: Ich werde sie warnen
Schmidt: Auf Wiedersehen
Adrian: Auf Nimmerwiedersehen!

Ende von Folge Fünf
Weiter zu Folge Sechs

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