Unsere kleine Welt-WG 1/1

Folge 1: Geglückter Start an der Endhaltestelle

Zwei Nachwuchswissenschaftler aus unterschiedlichen Kontinenten sitzen in Cottbus in einer Straßenbahn und wähnen sich auf dem Weg zu einem Bewerbungsgespräch. Aber die Sekretärin, die ihnen die Einladung geschickt hatte, war wohl etwas verwirrt gewesen, denn ihre Wegbeschreibung ist total falsch: An der Straßenbahn-Endhaltestelle wartet nicht das neugebaute Forschungszentrum auf die Wissenschaftler, sondern sie werden in einer tristen Plattenbausiedlung am Stadtrand gebeten, die Straßenbahn zu verlassen. Das Forschungszentrum muss erst noch gebaut werden, und die Straßenbahnlinie, die dorthin führt, ebenfalls. Sagt der Straßenbahnfahrer. So lernen sich „Ravi und „Carlos kennen.

Szene 1. In der Straßenbahnlinie 1
Carlos und Ravi sitzen in der Straßenbahn, fahren an den Plattenbauten von Schmellwitz vorbei, staunen schmunzelnd, wie es dort aussieht. Schließlich stoppt die Straßenbahn an der Endhaltestelle. Stimme des Fahrers durch einen Lautsprecher
Fahrer: Bitte aussteigen, Endstation, alle aussteigen!
Die beiden schauen unabhängig voneinander hoch, Carlos geht verwirrt nach draußen, Ravi geht nach vorn, Richtung Fahrer
Ravi: Isn´t this Lausitz Science Park?
Fahrer reagiert nicht
Ravi: Lausitz Science Park?
Fahrer schüttelt den Kopf: Endstation, alle aussteigen
Carlos ist außen nach vorne gegangen
Carlos: Die Haltestelle Lausitz Science Park, war die schon, oder kommt die noch?
Fahrer: Lausitz Science Park? Das könnte Linie 3 sein.
Carlos: Und wie komme ich dahin?
Fahrer: Warten, lange warten, nächstes Jahr soll Baubeginn sein.
Carlos: Was? Die gibt’s noch gar nicht??
Fahrer: Ich schätze in ungefähr drei Jahren fährt die Linie 3…
Carlos: Können wir nicht mit Ihnen zurück?
Fahrer: Nein, meine Straßenbahn geht jetzt ins Depot, in zehn Minuten kommt die nächste, und die fährt auch stadteinwärts.
Ravi schaut immer ungläubiger zwischen den beiden hin und her.
Carlos (zu Ravi): Discussion of no use, everybody has to get out!
Ravi steigt aus, Straßenbahn fährt davon.

Szene 2: An der Straßenbahnendhaltestelle und der daran angrenzenden Straße
Ravi: (er spricht mit Akzent) Ok! Und jetzt Stadtbesichtigung sozialistischer Wohnungsbau?
Carlos: If you like? In zehn Minuten fährt eine Bahn zurück.
Ravi: (Er schaut in sein Smartphone, redet so halb zu Carlos, halb zu sich selbst:) Die Assistentin hat gesagt, ich soll die Tramway nehmen, vielleicht wollte sie, dass ich Sightseeing mache, mir die indigene Bevölkerung anschaue. Are you a tourist, an ethnologist, a scientist?
Carlos: I live here, in this nice town Cottbus.
Ravi: Und warum weißt du dann nicht, wo es lang geht, welche Tram die richtige ist?
Carlos: Verrätst du mir erst einmal, wohin du willst?
Ravi: (fummelt am Smartphone herum, spricht wieder mehr mit sich selbst) Open Street Map zeigt kein „Lausitz Science Park“.
Carlos: Da will ich auch hin und auch zu mir hat die Sekretärin gesagt, ich soll die Straßenbahn nehmen.
Ravi: Sekretärin oder Assistentin? Ist das das gleiche? Auf Deutsch?
Carlos zuckt mit den Schultern.
Ravi: Willst du zum Bewerbungsgespräch? So wie ich?
Carlos: Ja, womöglich bewerben wir uns für die gleiche Stelle….
Ravi: Glaube ich nicht …
Carlos: Der erste Eignungstest besteht darin, ein Institutsgebäude zu finden, das es noch nicht gibt.
Ravi: Ich kriege den Job, meine Dissertation passt exactly zum Projekt, it´s a perfect match, I talked to Dr. Professor Institutsleiter via videocall, und er sagte: Sie haben die Stelle so gut wie sicher, das müssen wir nur noch vom Personalrat abnicken lassen, und von noch jemand…
Carlos: Gleichstellung?
Ravi: Yes, die Projektleitung vom CosyW-Lab soll ich übernehmen, und was machst du? Wo hast du dich beworben?
Carlos: Laboringenieur für die Biomasse-Optimierung, ist nur eine halbe Stelle.
Ravi: Dann bin ich dein Projektleitungs-Koordinator, wenn es jemals klappt, dass wir dieses Institut finden
Carlos: Da ist die Straßenbahn, mit der können wir zurückfahren
Ravi: Das mit der Straßenbahn lassen wir lieber, I am in a hurry, also bei deiner halben Stelle ist das nicht so relevant, aber ich nehme dieses Taxi, mit dir zusammen. Ich bin Ravi, ich habe in Australien studiert und in Deutschland einen Doktor bekommen. Und du?
Carlos: Carlos, … Carlos Sánchez, Agronom
Ravi: Aus Mexiko?
Carlos: Nein, aus Guatemala

Szene 3: Einsteigen ins Taxi in Schmellwitz / im Taxi / am Lehrgebäude 10 / FZ3H Lehrgebäude 10 ist ein Plattenbau aus DDR-Zeiten mit unsanierter Außenfassade, also ziemlich ramponiert, während das Forschungszentrum 3H gerade gebaut und erst vor kurzem eingeweiht wurde.

Taxi hält. Sie steigen ein, man sieht, dass sie mit dem Fahrer erst diskutieren und im Stadtplan oder im GPS etwas suchen.
Dann fahren sie, Taxi hält am LG 10. Ravi geht rein, ohne Tasche, kommt wieder raus, Taxi fährt weiter, Forschungszentrum 3H, diesmal geht Carlos rein, kommt zurück
Carlos: Hier sind wir richtig!
Taxifahrer: Macht 17,50
Ravi hält ihm eine Kreditkarte hin
Fahrer: Ne, das geht nicht
Ravi: Ich habe es geahnt, ich habe es geahnt, Carlos kannst du uns retten, hier in der deutschen Provinz herrscht noch Tauschhandel mit buntem Papier…
Carlos: Hoffentlich habe ich überhaupt so viel dabei (er kramt in allen Taschen herum, schafft es aber, Ravi steht ungeduldig daneben)
Ravi: Bekommst du das hin? Langt es? Ich kann sowieso nicht helfen, die Zeit wird knapp, ich geh schon mal voraus

Szene 4: Im FZ 3H, Treppe / Flur / Besprechungsraum 1 / Besprechungsraum 2
Bilder ohne Dialog, Ravi betritt den Lift, der Lift geht aber erstmal in den Keller, wo jemand versucht, einen Gabelstapler hineinzuschieben. Oben im zweiten Stock kommt inzwischen Carlos an; er wird von der Sekretärin Gerlinde Girlande in den Besprechungsraum hineingeschoben; dort schaut er etwas verwirrt, die anderen auch, plötzlich geht die Tür auf, und die Sekretärin schiebt Ravi zur Tür hinein, offensichtlich hat man Carlos ins falsche Zimmer gelotst, er muss aufstehen, mit Ravi den Platz tauschen. Die Assistentin schenkt Carlos schon den Kaffee ein, aber Ravi setzt sich hin und macht das Zeichen, dass er keine Milch will. Die gesprochene Erläuterung des Geschehens setzt ein, wenn Carlos im zweiten Stock bei Gerlinde Girlande ankommt. Diese gesprochene Erläuterung stammt aus dem Dialog zwischen Carlos und Angela.

Szene 5: Im IRO, Büro von Angela
Carlos sitzt im IRO (International Relations Office) mit seiner Vertrauenssachbearbeiterin Angela. Die Tür zum Flur ist offen, eventuell kommt auch die Kollegin zwischendurch mal rein, oder geht raus. Man merkt, dass es kein offizielles Gespräch ist, sondern eine zwanglose Unterhaltung.

Carlos: Die Sekretärin ist wegen einer Krankheitsvertretung für drei Lehrstühle zuständig und hatte sowieso überhaupt keine Ahnung. Niemand wusste, woher die Information kam, dass die Straßenbahnendhaltestelle beim frisch gebauten Innovationszentrum sei. Forschungszentrum 3H ist mitten auf dem Campus, aber das wusste ich nicht. Als wir dann endlich dort waren, fragte ich die Sekretärin, ob Ravi da sei, und sie hat das falsch verstanden, sie dachte, ich sei Ravi. Schickt mich in das Bewerbungsgespräch für die Projektleitungsstelle, das war total peinlich, da musste ich wieder raus, und zu meinem eigenen Bewerbungsgespräch, das für die Laboringenieurstelle, dort war nicht mal der Professor mit dabei, nur der Doktoringenieur und das Gespräch lief ziemlich mies. Ich verstehe auch gar nicht, was dieses Schreiben von der internationalen Zulassungsbehörde bedeutet.
Angela: Zeig mal her!
Sie nimmt das Schriftstück, das ihr Carlos gereicht hat, überfliegt es, ihre Miene wechselt von gutgelaunt zu beunruhigt.
A: Wollen wir mal eine kurze Pause machen, ich brauche einen Kuchen…
Carlos: Ich will keinen Kuchen, ich will die Laboringenieur-Stelle!

Szene 6: In der Cafeteria
Angela und Carlos, sie schiebt ihm einen Kuchen hin, den sie ihm offensichtlich spendiert hat.
A: Setz dich, und iss den Kuchen, du musst jetzt stark sein, aber als Mexikaner bist du Kummer gewohnt
Carlos: Ich bin aus Guatemala, das habe ich schon mehrmals gesagt
A: Entschuldigung, das steht hier sogar, und hier steht leider auch, dass dein guatemaltekischer Master für die Stelle nicht ausreicht, als Qualifikation.
Carlos: Was heißt das, der reicht nicht aus? Wieso denn nicht?
A: Die ZAB hat deinen Abschluss runtergestuft, ZAB ist die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen, deine Licenciatura entspricht seit gestern nicht mehr dem Master, sondern dem Bachelor-Level
Carlos: (Schaut ungläubig) Wie?
A: Die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen bewertet permanent die ausländischen Abschlüsse, es passiert immer wieder, dass ein Abschluss runtergestuft wird, dein Master ist hier in Deutschland jetzt nur noch einen Bachelor wert.
Carlos: Das kann doch nicht sein!
A: Doch, das kann sein, aber du machst doch gerade einen Master in ERM, da ist das nicht so schlimm, oder doch….?
Carlos schaut so entsetzt, dass ihr langsam dämmert, dass diese Nachricht für ihn sehr schockierend ist
Carlos: Heißt das, dass ich jetzt keinen Master habe?
A: Einen guatemaltekischen schon, aber hier gilt der nicht mehr. Glück im Unglück: Für dein ERM-Studium brauchst du ihn nicht.
Carlos: Aber den Job bei der Biomassen-Optimierung kann ich vergessen?
A: Ist doch nicht so schlimm, mach erst mal den Master, das klappt besser, wenn du nicht so viele Jobs nebenbei hast.
Carlos: Ich will den Job und nicht das Studium, der pinche ERM-Master, der ist nicht so wichtig, den brauche ich fürs Visum, aber wie soll ich die Schulden für meinen Onkel bezahlen, der ist Fletero und muss sich einen neuen Pick Up besorgen.

Szene 7: Das WG-Gemeinschaftszimmer
„Adrian packt den Staubsaugerroboter aus, Probefahrt, Positionierung, nimmt die Bedienungsanleitung vom Regal und dabei fällt eine einzelne SD-Karte runter, der Roboter saugt sie ein, man hört das Klappern, aber Adrian scheint nichts zu bemerken.

Carlos (kommt reingerannt): Kann ich mir eins von deinen Fahrrädern ausleihen, ich muss dringend zu einem Termin, aber zu Fuß zu langsam, zu weit, und ich zu spät
Adrian: Was ist denn los?
Carlos: Erklär ich dir später, du darfst mir gern das Elektrofahrrad geben
Adrian: Auf keinen Fall, das aktiviert die Diebstahlsperre, wenn du nicht die App auf dem Handy hast
Carlos: Dann eben das andere, aber es ist schon ganz knapp, bitte, bitte
Adrian: (fordernd/bestimmend) Aber du bist zum Kandidaten-Plenum um 18:00 wieder hier?
Carlos: Natürlich, natürlich
Adrian: Du hast die Schuhe nicht ausgezogen, heute ist das nicht schlimm: Unser Roboter macht es gleich wieder sauber! Ist er nicht toll?
Carlos: Die Haushälterin meine Tante war viel hübscher und hat auch alles weggeputzt
Adrian: Ich weiß, dass in Mexiko die Frauen hübsch sind
Carlos: Das war in Guatemala, cabrón!
Adrian (gibt ihm den Fahrradschlüssel, den er während der Unterhaltung umständlich vom großen Schlüsselbund abgefummelt hat): Auf jeden Fall noch aufpumpen, was ist denn so eilig?
Carlos: Vorstellungsgespräch
Adrian: War das nicht schon um zehn?
Carlos: (im weggehen) Vergiss es, aber ich habe zwei andere…
„Havin (kommt ins Zimmer): Ist Carlos schon wieder weg?
Adrian: Ja, der war ziemlich confused. Ich vermute, der coole Job, den er haben wollte, will ihn nicht.
Havin: Armer Carlos! Hat er sich dazu geäußert, ob er Tacos macht? Das hat er gestern angekündigt
Adrian: Glaube ich kaum, ich denke, wir können froh sein, wenn er überhaupt da ist.
Havin: Alexander, das ist der mit der Volkswirtschaftslehre, will schon um halb sechs hier sein, der meint, er muss früher kommen, früher zurück und schneller fahren. Volkswirtschaftslehre, was ist das? Ist das was für Volksdeutsche?
Adrian: Economics, global economics, important economics
Harvin: Ich habe noch ein paar Datteln, aber kochen kann ich nicht und will ich nicht, ich muss den Hackathon vorbereiten. Außerdem, die Kandidaten könnten ja was mitbringen, um sich beliebt zu machen und dann brauchen wir uns um nichts kümmern
Adrian: Nur leider wissen die Kandidaten das nicht
Havin: Ich hoffe, sie ahnen es! Immer nur Tacos und dein Tofugeschnipsel, ich hoffentlich es zieht jemand ein, der den Speiseplan in positiver Weise beeinflusst.
Adrian: Ich wusste gar nicht, dass du so kulinarisch orientiert bist
Havin: Wenn ich programmiere, habe ich keinen Hunger, und ich programmiere fast immer, aber ansonsten… hier habe ich die Speicherkarte abgelegt, eine SD-Karte, hast du die gesehen?
Adrian: SD? Sind das die kleinen, oder die ganz kleinen?
Havin: (Zeigt mit den Fingern, wie groß) Ich wollte die SD-Karte in diesen Slot stecken, aber dann musste ich zur Fernbedienung greifen und zum Smartphone, weil der Schlitz im Dunkeln nicht zu erkennen war, dann hat es geklingelt, der Paketbote hat mich abgelenkt… der Paketbote, der deinen Roboter geliefert hat
Adrian: Unseren Roboter!
Harvin: Jetzt liegt hier dein Manual, vermutlich lag da noch mehr. Als du die Bedienungsanleitung genommen hast, ist die Karte runtergefallen und der Roboter hat sie eingesaugt, diese Roboter haben eine minderwertige KI-Programmierung.
Adrian: Ich kann alles konfigurieren, wenn ich die Bedienung hinkriege, ich finde das ganz schön cool.
Harvin: Aber die Objekt-Erkennung ist ein veralteter Algorithmus
Adrian: Jetzt mach meinen Roboter nicht schlecht, der hat deine Karte nicht eingesaugt, was ist denn Wichtiges drauf auf der Karte?
Havin: Social Media Check, die Analyse unsere Kandidaten, auch von deiner Lieblingskandidatin Tickla. Und von Ravi, Alexander, Veronika und Bernd.
Adrian: Ich habe aber doch gesagt, ich will echte Menschen hier sehen und mit ihnen reden, und berühren und riechen und schmecken …. Schmecken, was sie zum Essen mitgebracht haben, nicht ihre doofen Instagramfotos, Abiturgruppenfotos, Blutspendedankesnadel-Überreichungen. Das kannst du dir allein anschauen
Havin: Keineswegs, denn Carlos hat ebenfalls ausdrücklich den Wunsch formuliert, die Spuren unserer Kandidaten im world wide web zu analysieren.
Adrian: Dann erst hinterher, ich will einen ungetrübten ersten Eindruck. Der erste Eindruck ist der wichtigste, es gibt keine zweite Chance für den ersten Eindruck
Havin: Du Romantiker
Sie geht in ihr Zimmer, Adrian greift sofort zum Smartphone und schreibt.

Szene 8: Im Labor
Tickla mit ERMKommilitonin Mimi im Labor. In den Laboren der Umweltwissenschaft gibt es Reagenzgläser, Bechergläser und Abzüge, wie man sie auch aus den Chemielaboren kennt. Aber dazwischen befinden sich noch verschiedene Spezialgeräte für Messungen und Analytik.
Messenger-Klingeln von Ticklas Smartphone, aber es liegt am Rande des Labortisches und Mimi sieht es zuerst.
Mimi: He Tickla, WhatsApp-Alarm, von Adrian!
Tickla kommt um die Ecke, sie liest, staunt, schüttelt den Kopf
Mimi: Klappt das mit dem Zimmer in seiner WG?
Tickla: (reagiert nicht auf die Frage, sondern offensichtlich auf die Nachricht) Was für peinliche Fotos? Ich habe doch keine peinlichen Fotos auf Instagram
Mimi: Doch!
Tickla: Du jetzt auch noch! Was denn?
Mimi: Das im Gewächshaus, mit der Gießkanne
Tickla: Das war TikTok, nicht Instagram, war das nicht sexy?
Mimi: Eben, aber ein bisschen zu viel
Tickla: Einmal ein hübsches Bild gepostet und schon wird es gegen mich verwendet.
Ich bin sowieso bei TikTok wieder raus, das ist mir zu viel Kinderkram. Nichts mehr mit Tik-Tok-la
Mimi: Ja cool, leider weiß ich das schon! Was hat das mit der Wohnung zu tun?
Tickla: Da wohnt doch auch noch diese Super-Informatikerin, Adrian sagt, die macht irgendwas mit ihrem Web-Crawler und untersucht unsere Spuren im Web.
Mimi: Ist ja krass!
Tickla: Wenn man in dieser „Wohngemeinschaft den Bewerbungsprozess erfolgreich durchläuft, dann kann man sich auch bei allen NGOs der Welt problemlos bewerben, dann bist du zertifiziert political correct
Mimi: Lohnt sich das?
Tickla: … und kochen soll ich auch noch (dem Smartphone zugewandt)
Mimi: Bewirbst du dich als Köchin oder als Mitbewohnerin?
Tickla: Die komplizierten Deutschen! Adrian sagt, es muss basisdemokratisch entschieden werden, wer in die WG einziehen darf. Heimlich schickt er mir Tipps, was ich alles machen soll, damit ich basisdemokratisch die besten Chancen habe. Ist das eine Intrige?
Mimi: Nur strategisches Verhalten.
Tickla: Was macht man nicht alles für eine günstige Wohngelegenheit. Ich will das kleine Zimmer bei denen, Wohnung suchen passt mir gerade gar nicht, und ich muss bei mir raus, das ist zu teuer, kann ich mir nicht mehr leisten.
Mimi: Ich dachte, es liegt an deinem Mitbewohner
Tickla: Das erst recht, nie wieder zu zweit allein mit einem verklemmten E-Techniker, am besten wäre so eine Riesen-WG, da findet man in jedem Fall für jedes meiner Probleme jemand, der mir hilft.
Mimi: Adrian kann Fahrräder reparieren und organisiert die Probanden-Jobs bei den Soziologen, das sind schon mal zwei Problemlösungsbereiche, die dir helfen könnten.
Tickla: Carlos ist auch ein Guter, und eine Informatikerin im Haushalt ist besser als ein Hausmädchen.
Mimi: Ich sag es dir: Das Hausmädchen wirst du! Bring ihnen Okraschoten mit Erdnuss-Soße mit, dann können sie nicht nein sagen, dann nehmen sie dich bestimmt
Tickla. Da muss ich noch einkaufen, Okraschoten hat nur der große Supermarkt an der Autobahn. Kannst du hier weitermachen? Und die peinlichen Bilder soll ich auch noch löschen!

Szene 9. Lift, Spind/Schließfach/Treppenhaus
Tickla verlässt das Labor, geht rein in den Lift. Als die Lifttür sich schließt, schiebt Ravi seinen Fuß über die Schwelle, die Tür geht wieder auf, er kommt rein. Im Lift tauschen sie Blicke, aber gleichzeitig durchsucht sie ihre Instagrambilder nach Peinlichkeiten. Im ersten Stock steigt sie aus, schiebt sich an ihm vorbei, während er im Lift bleibt und weiter ins EG fährt.
Tickla geht zu einem Spind, wo sie sich den Labormantel auszieht und die zusammengebundenen Haare öffnet.
Ravi verlässt den Lift im Erdgeschoß, geht zum Ausgang und staunt über das Treppenhaus. Er holt sein Smartphone aus der Tasche und versucht das Treppenhau eindrucksvoll zu fotografieren und braucht dafür etwas Zeit. Schließlich kommt Tickla die Treppe herunter und er macht ein Foto mit ihr.

Tickla: Hast du eben ein Foto von mir gemacht?
Ravi: Ja, eigentlich wollte ich das Treppenhaus fotografieren, aber mit dir sieht es noch besser aus.
Tickla: Wenn du ein Foto von mir machst, dann müsste ich für die Gleichberechtigung jetzt eins von dir machen, aber ….
Ravi: Bitte!
Tickla: …. mit dir wird das Treppenhaus nicht schöner, und ich habe auch überhaupt keine Zeit
Ravi: Dann auf Wiedersehen
Tickla eilt davon, sagt nichts, aber als sie dann mit ihrem Klapprad davonfährt, winkt sie ihm noch einmal mit freundlichem Lächeln


Szene 10: Supermarkt (nur Musik, kein Dialogton)
Im Supermarkt kreuzen sich Ticklas und Carlos’ Wege, doch sie bemerkt es gar nicht.
Carlos wird gerade von einem Mitarbeiter im Pfandflaschenrücknahmeraum eingewiesen. Überwachung der Automaten und Kisten auf Paletten stapeln, bei der Warenanlieferung helfen. Solche Jobs hat Carlos notgedrungen schon öfter angenommen. Aber seine Hoffnung, dass er durch wissenschaftliche Arbeit mehr, oder überhaupt etwas verdienen könnte, hatte sich ja gerade an diesem Tag in Luft aufgelöst. Deswegen hört er sich die Anweisungen des Vorarbeiters eher missmutig an. Als er einen Blick in den Verkaufsraum wirft, fährt gerade Tickla mit dem leeren Einkaufswagen vorbei.

Szene 11: Wohngemeinschaft, Havins Zimmer mit offener Tür zum Flur
Havin sitzt am Schreibtisch, vor ihr ein Bildschirm mit sehr kryptischem Code. Auch andere Ausstattungsmerkmale ihres Zimmers haben Bezug zu Computertechnologien. Der Staubsaugerroboter schiebt sich über ihre Schwelle. Inzwischen hat Adrian dem Roboter Augen aufgeklebt.
Havin: Hallo Kollege, du machst mir so merkwürdige Geräusche, du bist verdächtig. Hast du überhaupt eine Operationserlaubnis für dieses Territorium?
Als der Roboter nah an ihrem Stuhl vorbeifährt, springt sie auf, nimmt den Roboter und legt ihn auf den Rücken, sucht zwischen den Bürsten und findet dort die SD-Karte.
Adrian kommt herein: Was machst du da?
Havin: Hat der kleine Roboter einen Hilferuf an sein Herrchen gesendet?
Adrian: Du kannst ihn doch nicht auf den Rücken legen!
Havin: Er hat meine SD-Karte. Und du hast behauptet, dass er das nicht tun würde. Diese Aussage ist hiermit falsifiziert. Außerdem ist ab jetzt dieses Zimmer Sperrgebiet für den Sauger.

Szene 12: Küche in Ticklas 2er-WG
Tickla bereitet das Fingerfood vor und der Staubsaugerlärm wird immer lauter. Vor der offenen Tür rauscht Armin, der Mitbewohner, mit dem Staubsauger vorbei.
Tickla: Willst du nicht später saugen? Es ist so laut!
Armin: Ich bin gerade so in Saugelaune, was gibt’s denn Feines, wenn ich fertig bin
Tickla: Das ist nicht für dich, du kannst mal probieren, aber den Rest nehme ich mit, um mich beliebt zu machen.
Armin: Wohin, was geht ab in der kleinen Stadt am Abend?
Tickla: Du musst nicht alles wissen.
Armin: Wenn ich nicht fragen darf, dann sauge ich weiter!
Tickla: Fragen darfst du, Antwort ungewiss… zu Adrian, kennst du doch eh nicht?
Armin: Der Schnösel mit dem teuren Fixie?
Tickla: Ich hatte nix mit dem
Armin: Ich sagte Fixie, nicht Quicky, hast DU ihn angebaggert oder ER dich? Ich war auch da und hab euch gesehen, auf der African Culture Night! An mich erinnerst du dich nicht so gut wie an ihn
Tickla: Vielleicht saugst du doch lieber
Armin: Wie ist der Stand der Dinge mit ihm?… Der hat gerade ein Zimmer frei in seiner Luxus-WG, das ist ja noch teuer als hier. …
Tickla schweigt auffällig
Armin schaut auf Instagram oder irgendwo irgendwas im Handy nach
Armin: Sag mal, gehst du da hin, um dich fürs Zimmer zu bewerben?
Tickla: Vielleicht, mal sehen…
Armin: Ist ja interessant… fällt dir auf, dass du mir noch gar nicht gesagt hast, dass du hier ausziehen willst?
Tickla: Ja, ich habe dir schon gesagt, dass es mir eigentlich zu teuer ist, und außerdem schaue ich bei Adrian nur mal vorbei
Armin: Das sagst du jetzt, das kenne ich schon, immer schön auf deinen Vorteil bedacht
Tickla: Sorry, ich bin nur die kleine Untermieterin…
Armin: Ich habe dir das Zimmer billiger gegeben, ich zahle freiwillig mehr als die Hälfte
Tickla: Du hast den Mietvertrag und immer muss alles so sein, wie du es willst
Armin: Das stimmt gar nicht, du machst sowieso das, was dir in den Kram passt, nur wenn du was brauchst, dann bist du nett. Da kannst du Adrian einwickeln, mit deinen großen Augen! Bei dem hast du auf jeden Fall Chancen, ich ja wohl nicht!

Szene 13: Wohngemeinschaft, das leere Zimmer
Parallelmontage: In der alten Tickla-WG wird gestritten wird, in der Neuen preist Adrian das leere Zimmer an, hohe Zimmerdecke, Erker mit großen Fenstern, frisch renoviert

Szene 14: Wohngemeinschaft, Gemeinschaftsbereich
Erste Kandidatenvorstellungsrunde, Bewerbungsgespräche, alle reden direkt in die Kamera, Nahaufnahme, Jumpcuts wie bei einem Blogger

Adrian: Um es mal klarzustellen: Wir wohnen nicht zusammen, weil wir zu doof oder zu arm sind, um uns jeweils eigene Wohnungen zu mieten, wir haben hier den Anspruch auf Kommunikation, Inspiration und Kooperation. Wir lassen uns nicht vom Kapitalismus in die Wohlstandsfalle locken, keine Überflussvereinsamung, wir wohnen gemeinsam, weil das für alle Beteiligten ein Gewinn ist, ein mentaler Gewinn. Empathie ist die wichtigste erneuerbare Energie, wir können sie in beliebiger Menge aus dem Nichts schöpfen, einfach so und sie hat keinen Grenzwertnutzen. Mit der Empathie-Energie kann man zwar nicht die Wohnung heizen, aber das bisschen Geld für die Nebenkosten, das haben wir sowieso, gemeinsame Nutzung ist effektive Nutzung, deshalb: Share Economy! Hier herrscht kein Mangel, stattdessen Austausch, Anregung und Bestätigung. Das ist wichtig, erst recht fern der Heimat im ungemütlichen Schoß der kapital-getriebenen Wissenschaft.

Havin: Adrian hat bestimmte geisteswissenschaftliche Komponenten in seiner akademischen Laufbahn verinnerlicht, daher redet er manchmal sehr blumig, doch ich stimme ihm grundsätzlich zu, allerdings würde ich es anders ausdrücken. Ich bin wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl Compilerbau. Deshalb denken alle, ich könnte ihre Windows-Probleme lösen. Will ich aber nicht. Jetzt kommt die Datenschutzbelehrung: Ich habe von allen Kandidaten, die sich für das freie Zimmer beworben haben eine Webanalyse durchgeführt und verwende dabei das Tool „Anti-Alg“. Das ist kein Unkrautvernichter fürs Aquarium, sondern umgeht die Publikationsstrategien der Social-Media-internen Bewertungen und gibt uns ein halbwegs neutrales Bild eurer Netzaktivitäten, natürlich nur derjenigen, die ihr sowieso freiwillig für die weltweite Öffentlichkeit preisgegeben habt. Allerdings haben wir uns geeinigt, dass wir diese Datenanalyse erst nach der persönlichen Vorstellung als Entscheidungshilfe hinzuziehen.

Bernd: Aufgekratzter, übertriebener Typ Spaßvogel, glaubt er sei unwiderstehlich, wenn er viel redet, eine typische Quasselstrippe.
Bernd: Ja, ihr Lieben, ich bin eigentlich für jeden Spaß zu haben, als ich noch im Wohnheim lebte, da war unser Stockwerk das Epizentrum der guten Laune, vor allem mittwochs, damals als jeden Mittwoch noch Studentenparty war, aber bei uns haben sich die besten getroffen, und die meisten sind dann gar nicht auf die Party, wozu auch, in unserem Wohnheim gab es lange Zeit den Getränkeautomaten mit Bier drin und dann hat der Späti eröffnet, ihr wisst schon, ach so, ihr macht gar nicht mehr so viel Partys, ich auch nicht mehr, nur ab und zu, ich habe ja noch mit dem Diplom angefangen, aber mit Bachelor und Master, da muss man immer nur studieren, Stadtplanung habe ich erst als dritten Studiengang begonnen, die Prüfungsordnung bei den Umweltis ist völlig undurchschaubar, aber wenn man die richtigen Leute kennt, ist das alles nicht so schlimm, und deshalb wäre eine coole Studenten-WG für mich echt nicht schlecht.
Havin: Da hast du was verwechselt, wir sind keine Studierenden
Havin ist Protokollführerin, hat eine Klemmbrett mit Liste, und macht darauf Notizen
Bernd: Na, aber eigentlich ist doch der Weg das Ziel
Havin: Viel Spaß bei deinem Weg nach draußen

Die schüchterne, paranoide Veronika: Was soll ich sagen? Eigentlich wollte ich im nächsten Semester pendeln, zwischen Berlin und Cottbus, aber jetzt ist diese ganz wichtige Vorlesung schon früh um 7:30 mit Anwesenheitspflicht und einmal bin ich schon durchgefallen und die Bahn baut wieder, Pendelverkehr? Für zwei Monate, da brauche ich ein Zimmer und zwar eins mit einer guten Aura. Wohnheime machen mich krank, wenn ich diese langen Flure sehe, wird mir schwindelig und dann bin ich schon völlig entkräftet und stolpere in ein leeres Zimmer, und das leere Zimmer, das ist mein Zimmer und nicht nur das Zimmer ist leer, auch ich bin total leer, leer und völlig verloren. Ich saß beim ersten Corona-Lockdown im Wohnheim 3, das hat mich fertig gemacht, ich bin traumatisiert.

Havin: Sind wir hier betreutes Wohnen?
Sie macht ein Häkchen auf ihrer Klemmbrettliste.

Szene 15: Wohngemeinschaft, Gemeinschaftszimmer
Alexander: Entschuldigung, ich muss jetzt gleich los und hatte noch gar keine Gelegenheit meine Vorzüge und meine vielfältigen Softskills vorzustellen.
Carlos kommt rein, legt eine Melone auf den Tisch.
Carlos: Habt ihr ohne mich angefangen?
Adrian: Du bist ja auch viel zu spät
Carlos: Mein Bewerbungsgespräch hatte einen umfangreichen praktischen Teil, Assessment Center im Pfandflaschenautomaten, tut mir leid, lasst euch nicht aufhalten
Alexander: Ich kann es kurz machen, Volkswirtschaft an der LMU, meine charakteristischen Eigenschaften: teamfähig, effizient, delegierfreudig und originell, ich setzte auf Ressourcenschonung, ich soll beim Lehrstuhl „Wertorientiertes Prozessmanagement und Entrepeneurial Behaviour“ das Projekt zur Verkehrswegefunktionalisierung in Tagebaufolgelandschaften relaunchen. Das war es eigentlich, was ich kurz und knapp über mich sagen wollte, aber eine Frage hab ich auch: Habt ihr einen Autostellplatz?
(dabei steht er auch schon auf, im gleichen Moment kommt Carlos mit einem großen Messer, um die Melone zu schneiden, herein. Für einen Moment sieht es so aus, als würde er Alexander bedrohen)
Adrian: Nein, haben wir nicht. Aber wir haben einen eigenen Schuppen für Fahrräder
Carlos: Und der Schuppen ist randvoll, weil Adrian vier Fahrräder hat
Adrian: Nein, fünf! Im Schuppen sind allerdings nur vier
Alexander: Gebt ihr mir dann Bescheid, wie ihr euch entscheidet
Havin: Machen wir! (etwas frostig, während sie auf dem Klemmbrett ein Häkchen setzt))
Es klingelt
Havin: Da kommen schon die Nächsten,
Alexander: Servus, liebe Wissenschaftskollegen, ich muss Gas geben, morgen ist Regatta am Würmsee

Szene 16, WG Gemeinschaftsbereich, Fortsetzung
Ravi kommt mit einer Melone
Ravi: I see, ich habe euren Geschmack getroffen. Hallo Carlos, ist das Zufall oder Cottbus-Schicksal, wenn man sich täglich zweimal trifft!
Carlos: Je kleiner die Stadt, desto höher die Begegnungswiederholungswahrscheinlichkeit
Adrian: Und in der kleinen Stadt gibt es nur ein kleines akademisches Milieu!
Ravi: (zu Carlos) Wie war es bei dir, ich habe den Job so gut wie sicher und noch die Melone dazu gekriegt
Carlos: Meine Vorstellungsgespräche waren alle enttäuschend. Aber hier bin ich kein Bewerber, sondern Bewohner. Ich, ich gehöre zum Entscheidungsgremium, jetzt kann ich die Absagen verteilen und muss sie nicht selbst einstecken.
Havin: Kannst du dich schon dazu durchringen, dem Wichtigtuer Alexander eine Absage zu verpassen…
Adrian: Autofuzzi…
Havin: Ich hätte es dir vorher sagen können, schau dir mal seine LinkedIn-Profilbild an! Die Insta-Auto-Stories will ich dir gar nicht zumuten. Aber du wolltest unbedingt den ersten Eindruck voll genießen
Es klingelt nochmals
Adrian: Das muss Tickla sein
Havin: Ich gehe
Carlos zu Adrian: Wie war es bisher? Wen habe ich sonst noch verpasst?
Adrian: Bis jetzt sehr dürftig, das Angebot an human ressources?
Ravi: Also habe ich noch Chancen? (Hantiert mit der Melone) Ich bin der Physiker vom CosyW-Lab, very nice, das Institut und auch die Wohnung. Ich will hier wohnen, keinen doppelten Wohnsitz, pendeln lohnt nicht, wenn man aus Australien kommt, aber zuletzt war ich in Karlsruhe, da muss ich nur noch einmal hin, um alles zusammenzupacken, ist auch nicht viel.
Carlos: Du musst gegen Tickla bestehen, das ist eine harte Konkurrentin, It-Girl aus Madagaskar, jeder kennt sie, jeder liebt sie!
Adrian: Wo bleibt sie denn?

Szene 17 In der Abstellkammer
Blick vom Fenster, Tickla steht mit dem Rücken zur Tür, an der Havin lehnt und während Tickla redet, kommt einer nach dem anderen und sie stehen alle in der Türöffnung und schauen Tickla bei ihrem lebhaften Gerede zu. Sie hat ein großes Metermaß dabei (3m), klappt es auf, hantiert damit ausladend und raumgreifend

Tickla: Den Staubsauger soll sich Adrian unters Bett stellen, das Zimmer ist wunderbar für mich, ich brauche nicht mehr. Die Matratze passt quer rein, hier der Koffer und da der Laptop, und Wäscheständer sind sowieso hässlich
Adrian: Dieses Zimmer ist nicht zu vermieten, das ist die Abstellkammer
Tickla: Dann stelle ich mich halt hier ab, ich brauch es billig und kompakt. Tiny living! Dieses riesige Zimmer, das ihr besetzen wollt, da fühl ich mich ja ganz klein, wenn ich da allein drin bin, das soll er nehmen
Sie deutet auf Carlos.
Carlos: Ich habe schon, ich brauche keins
Tickla: Dann eben der da!
Sie deutet auf Ravi, der sich gerade auch ins Blickfeld schiebt. Beim Reden erkennt sie ihn.
Ravi: Das finde ich auch, ich brauche viel Platz und mir gefällt es hier
Tickla: Was gefällt dir? (mit schnippischen Unterton) Havin, dieser Mann ist schon mit mir im Lift gefahren und hat mich ungefragt fotografiert.
Ravi: Es war unabsichtlich und ich habe es dir gezeigt
Tickla: Ihr nehmt ihn fürs große Zimmer, mit einem Projektleiter-Mietaufschlag und ich wohne ganz unauffällig hier in der Kammer, für umsonst!
Havin: Das ist doch zu klein
Tickla: Hier passt eine ganze Familie rein
Carlos: Den Wäscheständer will ich nicht bei mir rumstehen haben
Adrian: Havin, du hast dir die Diskussionsleitung entgleiten lassen, wir müssen das im Plenum diskutieren und gemeinsam entscheiden
Tickla: (trägt ein Tablett mit Fingerfood) Keine Diskussion ohne Diskussionsgrundlage
Carlos: Oh, endlich, me estoy cagando del hambre
Adrian: Das schmeckt ja köstlich!

Szene 18, Wohngemeinschaft Gemeinschaftsbereich
Collagenhafte Montage, ohne Anschlusslogik sprechen alle an beliebigen Orten in die Kamera, vom kleinen Zimmer verlagert sich die Handlung wieder in den Gemeinschaftsbereich. Man sieht jemanden eine Schallplatte auflegen (Nahaufnahme), später tanzt Tickla, Carlos trinkt Wein, Ravi öffnet Bier, aber alles konfus und un-chronologisch geschnitten, dazwischen auch die Bilder, die Tickla und Ravi voneinander gemacht haben, evtl. zeigt Havin das Gießkannenfoto auf dem großen Bildschirm im Wohnbereich.
Satzfragmente:
Carlos: Ich habe nie behauptet, dass ich Tacos machen würde
Adrian: Die Okraschoten, das war wie eine Geschmacksexplosion auf meiner vernachlässigten Zunge
Havin: Will niemand meine Web-Crawler Ergebnisse sehen?
Ravi: Kann ich denn jetzt Tickla, eine Treppe hinabsteigend, posten, oder werde ich dann nachträglich disqualifiziert?
Adrian: Ich schick dem Volkswirt ne Mail, mit oder ohne Sticheleien?
Ravi: Woher weißt du, dass ich Projektleiter bin?
Havin: Es gibt hier keine social gender behavior-Ranking, nur eine Social Media-Analyse
Adrian: Alexander hat die Absage, schriftlich
Carlos: Mein Master ist futsch, wird nicht mehr anerkannt
Tickla: Havin hat es mir gesagt
Havin: Effizient, delegierfreudig, und originell, das brauchen wir auf keinen Fall
Carlos: Ich kann im Supermarkt arbeiten, Pfandflaschen sortieren, ab sofort, mein Traumjob
Adrian: Da wirst du doch ausgebeutet, Lohnkapitalismus
Carlos: Die Melone, die war eigentlich für die Tafel, ich habe die einfach mitgenommen
Ravi: Okraschoten liebe ich schon immer
Havin: War das jetzt schon eine endgültige Entscheidung?
Ravi: Gibt’s hier eigentlich noch andere Wissenschaft-WGs, Science Co-living?
Havin: Die meisten sitzen im Zug nach Berlin
Carlos: Ich krieg noch 17 € von dir, fürs Taxi
Adrian: Die Wäscheständerproblematik ist noch nicht geklärt
Havin: Im Alltag ist es geradezu selten, dass mehr als zwei Personen gleichzeitig in der Wohnung sind
Adrian: Ein Wäschetrockner kommt mir nicht ins Haus, Energieverschwendung
Carlos: Kooperation!
Tickla: Wieso hat Havin das Gießkannenbild, obwohl ich es gelöscht habe?
Adrian: Arbeitsteilung ohne Hierarchie
Tickla: Ich bin schon lange nicht mehr bei TikTok
Havin: Eine einkommensbezogene Aufteilung der Miete setzt völlige Transparenz der Einkommen voraus
Adrian: Ich sage nichts zu meinem Einkommen
Carlos: Aber ich!
Tickla: Ich bin hier zuhause!

Musik aus, Stimmungswechsel
Tickla: Aber jetzt gehe ich!
Sie biegt in den Flur ab, die anderen räumen Gläser weg, etc. Ravi sucht seine Laptoptasche
Ravi: Ich komme zum 15ten. Geht das?
Adrian: Klar, du kannst auch auf der Matratze schlafen.
Ravi: Hotel ist schon gebucht und bezahlt, da geh ich jetzt hin und von dort morgen früh gleich zum Bahnhof

Szene 19 Wohngemeinschaft, Adrians Zimmer
Adrian schlurft in sein Zimmer, das man bisher noch nicht gesehen hat. Es ist ziemlich groß und minimalistisch eingerichtet. Ein Rennrad hängt an der einen, ein großes Kunstwerk an der anderen Wand. Er lässt sich aufs Bett fallen, macht dann das Licht an und sieht, dass Tickla ganz stumm und ruhig auf dem Sofa sitzt.

Tickla: Dein Zimmer ist ja noch größer als die anderen
Adrian: Ja, das ist es, ich bin der Hauptmieter und hier ist das Hauptquartier

Schweigen
Tickla: Ich habe mich verlaufen
Adrian: Wann? Jetzt, oder früher?
Tickla: Ich wollte zur Haustür, aber dann bin ich hier gelandet
Adrian: Ach so?
Tickla: Ich weiß, ich bin hier falsch, aber das Sofa ist bequem

Schweigen
Adrian: Das Bett ist noch bequemer
Tickla: Für dich!
Schweigen

Tickla: Gute Nacht
Adrian: Ist alle in Ordnung, du klingst so traurig, hast du eine Existenzkrise?
Tickla: Ich habe eine Nachricht bekommen, von zuhause, die Nachrichten von zuhause sind meistens traurig. Aber vergiss es einfach, ich komme wieder, wenn es mir besser geht.
Sie steht auf und verlässt das Zimmer.

Ende der ersten Folge
Zweite Folge

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