Unsere kleine Welt-WG 6/1

Folge 6: Der Science Slam schlägt zu!

Szene 1: Gartenbar
Carlos hat ein Date mit der blonden Saskia, sie sitzen in einer Bar, in der es teure Cocktails gibt. Aber noch ist Nachmittag. Carlos erwartet eigentlich, dass beide Kaffee trinken. Saskia redet viel, aber man kann nicht beurteilen, ob sie einfach geschwätzig ist, oder ein besonderes Verhältnis zu Carlos aufbauen möchte.

Saskia: Meine Semesterarbeit hat Alexander betreut, und da war er immer sehr wohlwollend und hilfsbereit: Ob ich zurechtkomme und das hinkriege, du weißt schon, hast du die Literatur gelesen? Und das da ist auch wichtig und jenes kannst du dir sparen… hier gibt’s mexikanischen Kaffee, den nimmst du bestimmt?
Carlos: Ich bin aus Guatemala, aber der mexikanische Kaffee ist trotzdem gut.
Saskia: Ich trinke am liebsten einfach Cafe americano
Carlos: Ich lade dich ein…
Saskia: Oh danke, (als Carlos das sagt, blättert sie in der Getränkekarte ein paar Seiten nach vorne, wo die Cocktails aufgelistet sind)
Saskia: Das lief dann auch ganz gut, und er hat mich zur Service Managerin fürs Hotel gemacht, damit ich mich darum kümmere, dass immer eine Putzfrau da ist, das ist nämlich das einzige Problem, alles andere läuft automatisch…
Carlos: Habt ihr eine Putzagentur?
Saskia: Na eben nicht, die, meint Alexander, frisst den ganzen Gewinn auf, und rate mal, wie das dann in der Praxis aussieht?
Carlos: Du musst es machen?
Saskia: Alexander sagt, dass er das erwarten könnte, natürlich nur im Notfall, leider ist ständig Notfall. Ich sage nein, das ist nicht meine Aufgabe, ich putz doch nicht zum Mindestlohn, und jetzt habe ich schon zur Vorbereitung für die Bachelorarbeit eine Menge recherchiert, für ihn, denn die Bachelorarbeit soll sich um die Marketing-Strategie seines Capsule-Hotels drehen.
Carlos: Aber für die Bachelorarbeit ist doch eigentlich ein Prof zuständig
Saskia: Na klar, aber der lässt sich fast nie blicken und Alexander darf alles übernehmen, vor allem mich, … denkt er!
Bedienung: Habt ihr euch schon entschieden?
Saskia: Ich bin am Verzweifeln, wegen der großen Auswahl
Carlos: Für mich ein Cappuccino,
Saskia: Nein, nein, kein Cappuccino, lieber Carlos, ich kann mich nicht entscheiden, ob ich einen Royal Cream Pie Ginger oder den American Dream nehme, und ich würde sagen, wir nehmen beides und ich darf bei dir probieren. Bitte?
Carlos schaut groß und hilflos
Saskia: Also kein Cappuccino, sondern einen Royal Cream Ginger Pie und einen American Dream!
Bedienung: Aber gerne doch!
Saskia: Danke Carlos, ich habe manchmal fatale Entscheidungsschwierigkeiten, auch mit der Bachelorarbeit, beim Human Resources Lehrstuhl gab es auch eine interessante Arbeit zum Thema Floating Topics, die habe ich mir für Alexander durch die Lappen gehen lassen, aber seit ich ihm gesagt habe, dass ich nicht die Notfall-Reinigungskraft bin, ist er ziemlich reserviert und ich überlege ob ich nicht auch floaten muss, zu einem anderen Topic!
Carlos: Und was musst du da sonst so tun? Im Capsule-Hotel?
Saskia: Ich führe die Statistik, und dann muss ich uns mit den ganzen anderen Meta-Suchmaschinen verbinden, aber da geht’s nicht voran, weil die Entscheidung, ob wir uns an airbnb ranhängen oder lieber normale Booking-Metas nehmen noch nicht gefällt ist, aber erst muss die Website stehen, das hängt auch noch, weil wir keine ordentlichen Fotos haben. Alexander hat da mit seinem neuen iPhone rumgeknipst, aber das taugt nichts
Carlos: Fotos kann ich dir machen, aber wir brauchen eine attraktive Frau als Modell, da nehmen wir dich!

Szene 2: Im Treppenhaus der WG
Havin holt einen Brief aus dem Briefkasten, betrachtet Adrians Blockdiagramm, das er in der Nacht vorher im Treppenhaus aufgehängt hatte, und ergänzt es.
Havin: Great City Property? Luxemburg…

Szene 3: In der Bar
Saskia in der Damentoilette, zieht sich den Lippenstift nach
Carlos schaut in sein Portemonnaie, da ist nicht viel drin, blättert dann in der Getränkekarte, schweiß steht auf seiner Stirn
Carlos (zur Bedienung): Noch einen Royal Cream Ginger Pie und einen … Espresso!
Saskia kommt zurück
Saskia: Wenn ich für Alexander als Modell auf den Werbefotos bin, muss er mir dafür ein Honorar zahlen?
Carlos: Nein, das muss er nicht,
Saskia: Aber ich kann eins fordern?
Carlos: Das hängt ganz von deinem Verhandlungsgeschick ab, und von Alexander. Aber wenn du als Modell ein Honorar bekommst, dann will ich auch eins für die Fotos
Saskia: Ach so?
Carlos: Und zwar genauso viel, oder mehr,
Saskia: Aber wenn es um mich geht und das Capsule-Hotel ist Alexander ziemlich geizig, aber bezeichnet es als ökonomisch. Er sagt: Das müsse sich rechnen, was sich nicht rechnet, machen wir nicht, dabei hat Alexander viel zu viel Geld, der Papa ist Erfolgsanwalt in München. Alexander weiß gar nicht wohin damit, letzte Angebermeldung, die er mir auffällig unauffällig (Anführungszeichen als Geste, Ironisch) untergeschoben hat, war, dass er euer Haus von Adrian abkaufen will.
Carlos: Welches Haus hat Adrian?
Saskia: Na das, in dem ihr wohnt
Carlos: Das gehört Adrian?
Saskia: Hat Alexander behauptet

Szene 4: WG, Gemeinschaftsraum
Havin: (sehr sachlich) Eigentlich könnte mir das egal sein, aber ich bin enttäuscht, das ist eine richtige Glaubwürdigkeitskrise
Adrian: Aber es hatte keinerlei Auswirkung auf unsere Wohngemeinschaft. Das Haus gehört der Immobilienverwaltungsgesellschaft…
… gehörte, denn jetzt wurde es an diese Great City Property verramscht
Havin: Das sind ja nur die üblichen Verschleierungs- und Steuersparmethoden des großen Kapitals
Adrian: Von wegen großes Kapital, das war einmal!
(Das Telefon klingelt, Festnetz)
Adrian: Oh Gott, das Festnetztelefon, es gibt nur eine Person, die da anruft!
Adrian geht um die Ecke in sein Zimmer, Ravi kommt rein, gut gelaunt stellt er einen Kuchen auf den Tisch
Ravi: Hier Kuchen, hat Frau Girlande für mich gebacken
Havin: Was ist mit deiner Paranoia, ich dachte du hast Befürchtungen, der Kuchen könnte eine Intrige der Gleichstellungsabteilung sein
Ravi: Glaube ich jetzt nicht mehr, die war ganz nett zu mir. Wir haben uns unterhalten und ich habe sie gefragt, ob alles ok sei, und dann haben wir noch ein bisschen geplaudert, es war nur eine falsche Einschätzung meinerseits. Die Frau ist harmlos. Willst du ein Stück?
Havin: Nein
Pause
Ravi: Was ist los, was machst du?
Havin: Ich warte auf Adrian
Ravi: Warum? Und wann kommt er?
Havin: Er telefoniert gerade mit seiner Mutter, die Lage ist ernst, aus verschiedenen Gründen
Ravi: Sag mal einen Grund, von den vielen
Havin: Es hat sich jetzt herausgestellt, dass dieses Haus sich in einem sehr bemerkenswerten Besitzstand befindet, es gehörte einer Firma, die wiederum Adrians Vater gehört, und die Mietzahlungen werden schon auf einem Treuhandkonto gesammelt, das Adrian zufällt, oder zufallen wird.
Ravi: Ist das ein Problem?
Havin: So ähnlich drückt sich Adrian auch aus, aber ich empfinde es zumindest als fragwürdig, dass er das nicht gesagt hat und jetzt ist sowieso alles ganz anders, weil die Firma, also das gesamte Firmenimperium von Adrians Vater in Liquiditätsschwierigkeiten steckt und das Haus verkauft wird.
Ravi: Poor boy, Adrian
Adrian kommt in die Küche
Adrian: Sie kommt, sie kommt, und sie weigert sich, ins Hotel zu gehen
Havin: Deine Mutter?
Adrian: Ja, meine Mutter und sie wird nicht nur mir auf die Nerven gehen, sondern uns allen
Ravi: (unbedarft, ohne die Absicht, Adrian zu kränken) Sie kann in Ticklas Zimmer schlafen und Tickla bei mir
Adrian: (gehässig) Danke, das muntert mich gar nicht auf!
Ravi: Aber was ist denn nun überhaupt los?
Adrian: Zuhause geht der Konkursverwalter ein und aus. Mein Vater war immer der sogenannte ehrbare Geschäftsmann, haftet persönlich für die Firma, mit dem Privatvermögen, mit allem, hoffentlich nicht auch mit seinem ungeratenen Sohn. und vor lauter Ehrenrettung hat er bis zum Schluss versucht, alles geheim zu halten, aber inzwischen steht es schon in der Zeitung, ich hätte sie nur rechtzeitig lesen müssen. Die kleine zwischengeschaltete Hausbesitzverwaltungsgesellschaft, der offiziell dieses Haus gehörte, ist dem Gerichtsvollzieher gerade noch zuvorgekommen und hat die Bude an eine Kapitalgesellschaft aus Luxemburg verkauft. Da bin ich schon etwas beleidigt, dass mir niemand Bescheid gesagt hat. Wir sind schließlich brave Mieter und haben jeden Monat brav bezahlt. Dass der eitle Alexander durch das Treppenhaus spaziert und das Haus kaufen will, das geht mir echt auf die Nerven. Der kriegt es nicht!
Ravi: (ironisch) Ich kann ja mal meinen Daddy fragen, ob er ein Investment in Germany will, aber der ist so wertkonservativ, der kauft immer nur in Great Britain und in USA
Havin: Du hast auch einen schwerreichen Papa?
Ravi: Only a joke, Daddy geht’s gut, aber seit den großen Waldbränden hat er ganz schön zu kämpfen, langt gerade für den Eigenbedarf. Früher hat er eine Menge Überschuss gemacht und mir das Studium bezahlt, aber jetzt geht das nicht mehr. Die müssen alles Mögliche neu investieren, was die Versicherung nicht bezahlt hat.

Szene 5: Fuß- und Radweg an der Spree
Carlos und Adrian joggen an der Spree entlang. Adrian hängt hinterher, Carlos recht munter und fit vorneweg, er dreht sich um, rückwärts ist er genauso schnell, versucht Adrian anzutreiben.
Carlos: Hopp, hopp, hopp, etwas mehr Elan, ich dachte du bist fit?
Adrian: Fit wie die Pantoffeln von meinem Opa, hetz mich nicht!
Carlos: Der Sinn vom gemeinsamen Joggen besteht ja gerade darin, dass wir uns gegenseitig vorantreiben, zu neuen Höhepunkten
Adrian: Vorsicht da kommt jemand!

Carlos dreht sich um und sieht, dass es Saskia ist,
Carlos: Hallo, Saskia,
Saskia: Hi (lustlos)
Carlos: (dreht sich kurz zu Adrian um) Komme gleich

Adrian rennt langsamer weiter, schaut Carlos hinterher, der mit Saskia spricht, gestikuliert, seitlich rennt, versucht besonders cool und sportlich zugleich zu sein, während Saskia sehr verschwitzt ist. Adrian rennt bis zur nächsten Bank und setzt sich dann schlaff und geknickt hin. Carlos kommt, rennt vorbei, weil er denkt, Adrian würde aufstehen und wieder mitrennen, aber der bleibt sitzen. Carlos kehrt um und setzt sich zu Adrian:
Carlos: He Sportsmann, was ist mit dir?
Adrian: I am a Looser, why dont you kill me?
Carlos: Du bist kein Looser, Desperado!
Adrian: Doch! Eigentlich kann ich nichts, nur labern, ich kenne die Welt doch gar nicht, nur die geisteswissenschaftliche Interpretation dessen, was wirklich ist, aber bisher war mir das egal, weil ich die Freiheit hatte, nichts zu müssen, der scheiß Reichtum hat mich von allen Zwängen entbunden und verweichlicht. Mein Selbstbewusstsein resultiert eigentlich nur aus meiner privilegierten Situation heraus, einerseits global, andererseits privat. Ich müsste mir vom ersten Windelschiss bis zur Beerdigung keinerlei existenzialistischen Sorgen machen, wenn es so weitergegangen wäre. Jetzt ist das plötzlich annulliert.
Carlos: Camerada, du hast einen Job, du bist nicht doof, du kannst dein Geld verdienen!
Arian: Kann ich das wirklich? Mir scheint es gerade, als sei ich dazu völlig unfähig. Ich kann das nur, weil ich nicht muss.
Carlos: Soll ich fragen, ob du auch am Pfandflaschenautomaten arbeiten darfst, das kann jeder! Du musst dich nur etwas schneller bewegen,
Adrian: Das ist ja genau mein Problem! Das will ich nicht!
Carlos: Doch, das könntest du schon, du verwöhnter, dekadenter Bandito
Adrian: Ich kann das mal eine Stunde ausprobieren, aber dauerhaft? Da werde ich depressiv.
Carlos: Und jetzt rennen wir weiter!
Adrian: Ich will nicht!
Adrian steht auf und geht langsam, wie ein alter Mann in die falsche Richtung.
Carlos: Du kommst mit!… komm mit nach Guatemala!
Carlos rennt weiter, in die andere Richtung!

Szene 6: Im Regionalexpress
Adrian im Zug, er fährt an trostlosen Provinzbahnhöfen wie Ruhland, Priestewitz oder Calau vorbei, der Schaffner kommt.
Schaffner: Haben sie auch das Deutschlandticket?
Adrian: Ne, ich habe das hier (erzeigt die Bahncard 100)
Schaffner (redseelig): Hier in der Gegend kommen sie mit dem Deutschlandticket genauso gut voran, nur viel billiger.
Adrian: Wann gibt es endlich den ICE-Anschluss?
Schaffner: Nie!
Adrian: Wenn der ICE nicht herkommt, dann muss ich hier weg!

Szene 7: Labor mit Gasreaktoren
Carlos macht mit Tickla und Mimi witzige Fotos im Labor, die für seinen Vortrag beim Science Slam vorgesehen sind.
Dabei halten Tickla und Mimi für die chemischen Formeln jeweils die einzelnen Reaktionsmoleküle als Pappschild in den Händen und spielen zwischen den Reaktoren eine Art Kasperle-Theater

Carlos: Ihr seid super, das gefällt mir sehr gut.
Mimi: Aber das ist nicht für die Uni-Homepage
Carlos: Nein, das ist für meinen Vortrag beim Science Slam
Tickla: Da soll man in zehn Minuten das Forschungsprojekt vorstellen, aber ich will das nicht, Carlos übernimmt
Carlos: Ich muss es machen, das lasse ich mir nicht entgehen. Weil Alexander ebenfalls antritt, er darf nicht gewinnen, ich muss Saskia mit meinem Vortrag beeindrucken
Mimi: Saskia?
Tickla: Carlos versucht gerade sie näher kennen zu lernen, so richtig kennen lernen.
Mimi: Machst du mit ihr auch Fotos, das schafft Intimität?
Carlos: Ja, das ist schon geplant, aber es gibt keinen Termin, ich komme nicht so gut voran, wie erhofft.
Tickla: Wie ist der Stand der Dinge?
Carlos: Ich habe sie beim Joggen getroffen, da wollte ich sie spontan ansprechen und sie hat sehr feindselig reagiert, ob ich ihr auflauern würde, aber es ist ja wirklich nichts Besonderes, wenn man sich an der Spree trifft.
Mimi: Ist sie sportlich?
Carlos: Die rannte ganz schön schnell und war schon total verschwitzt
Tickla: In dem Zustand will sie eben nicht flirten…
Carlos: Aber sie sah trotzdem sehr gut aus, finde ich
Tickla: Ich will jetzt gar nicht fragen, was du gut findest. Hast du Chancen bei ihr? Realistisch?
Carlos: Vielleicht wollte sie mich nur kennenlernen, um an Adrian ranzukommen, aber
da der jetzt seine Millionen verloren hat, könnte sie auch mich interessant finden.
Tickla: Das klingt nicht logisch. Wenn sie auf materiellen Vorteil aus ist, nützt es nichts, wenn Adrian den Reichtum verliert, sondern du musst zu Reichtum gelangen, und das steht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht unmittelbar bevor.
Carlos: Sie hat gewisse materielle Zielsetzungen, aber das ist bestimmt nicht das ausschlaggebende Kriterium.
Tickla: Du musst herausfinden, wie du ihr noch beeindrucken kannst, und wenn du das nicht findest, dann hast du auch keine Chance. Ich finde Adrian süß, vor allem, wenn er deprimiert ist. Ravi ist mir manchmal zu optimistisch, den kann ich eigentlich nur ertragen, wenn mein Biorhythmus auf den Eisprung zugeht. Hat mein Biorhythmus seine ruhige Phase wäre Adrian besser.
Carlos: Das hätte dann zur Konsequenz, dass du dich nur mit Ravi fortpflanzen könntest.
Tickla: Gentechnisch gesehen möchte ich eigentlich einen Russen als Samenspender, natürlich nur einen Wissenschaftler: Physiker, Mathematiker, Raketenforscher oder so was, wo ich den herkriege, weiß ich noch nicht. Als Kindererziehungsvater und Hausmann wäre Adrian vermutlich der Beste! Bis es soweit ist, hat sein Vater aus der Konkursmasse bestimmt wieder ein bisschen frisches Geld herausgeholt. Ravi nehme ich als Liebhaber bei besonderen Anlässen.
Carlos: Und ich?
Tickla: In meinem Biorhythmus kommst du nicht vor, aber ich brauche jemanden, der die Experimente macht.


Szene 7: Bahnhof Falkenberg
Adrian holt dort seine Mutter ab, die über Wittenberge angereist ist

Mutter: Mein lieber Sohn, schön, dass du mich abholst, aber ehrlich gesagt, ich schaffe es auch alleine, bis ins Ziel zu manövrieren
Adrian: Ich wollte dir entgegenkommen
Mutter: Wenn du deinen Vater besuchst, wäre das vermutlich besser, als hier eine halbe Stunde durch diese unvergleichlich trostlose brandenburgische Landschaft zu fahren.
Adrian: Das ist nicht trostlos
Mutter: Blühende Landschaften sehe ich hier keine, aber darauf kommt es nicht an, es geht um unsere emotionale Bindung zu der Welt, in der wir leben müssen. Du hast aus schwer nachvollziehbaren Gründen beschlossen, dass deine Welt in der brandenburgischen Provinz liegt.
Adrian: Tu nicht so, als sei Kornwestheim eine Weltstadt.
Mutter: Das ist nicht der Fall, aber da hatte Opa seine Äcker und jetzt ist das vielleicht wichtiger als je zuvor. Der Konkurs ist nicht aufzuhalten und ich habe deinem Vater gesagt, er soll sich nicht darüber ärgern, dass du nur Spott und gute Ratschläge für seine Arbeit übrig hatest, sondern er soll sich darum kümmern, dass er selbst ein paar heimliche Reserven in Sicherheit bringt, und alles was mit dir zu tun hat, wird zuerst verscherbelt. Denn du bist alt genug, um für dich selbst zu sorgen
Adrian: Ja, das bin ich, ich habe es kapiert. Das Haus in dem ich wohne ist ja schon futsch.
Mutter: Das ist nicht futsch, sondern verkauft und wenn unser Steuerberater sich nicht zu doof anstellt, wird das Geld eine wertvolle Stütze für meine Altersversorgung sein.

Szene 8: Wohngemeinschaft
Havin erwartet Adrian und seine Mutter an der Tür
Havin: Guten Tag Frau Hartmann, es freut mich, dass sie uns besuchen.
Mutter: Hallo Havin, das freut mich auch, wieder hier zu sein. Leider ist mein Anlasse eher betrüblich. Sie haben bestimmt schon gehört, dass es unserem Familienbetrieb wirtschaftlich nicht so gut geht, also eigentlich muss man sagen, dass er tot ist. Es geht bei der Diskussion nicht um die Sanierung, sondern um die Beerdigungsformalitäten.
Havin: Sie können ihre Koffer gleich hier hineinstellen, das ist das Zimmer von Tickla. aber sie können es wieder als Gästezimmer nutzen, ganz ungezwungen.
Mutter: Ist das die hübsche Afrikanerin, von der du mir erzählt hast?
Adrian: (beiläufig) Jaja,
Mutter: Schläft sie dann bei dir?
Adrian: (zerknirscht) Nein, bei unserem australischen Mitbewohner, Ravi Miller, den kennst du auch noch nicht, das ist der, der mit dem Wirtschaftsminister auf dem Foto zu sehen war.
Havin: Aber Tickla ist zu Mimi, sie wollte nicht zu Ravi
Adrian: Wieso denn das?
Havin: Ich glaube, es war mal wieder die afrikanische Traurigkeit, die ab und zu über sie hereinbricht. Aber ich habe Yasmin Tee gemacht, wollen sie erst mal eine Tasse?
Mutter: Havin, sie sind wirklich die gute Seele im ungeordneten Leben meines Sohnes.
Carlos kommt mit der Kerze
Carlos: Hallo Freunde, nicht wundern. Das hier ist die geweihte Kerze und ich werde sie im Flur ab und zu entzünden, für die Genesung meines Onkels, dem Flatero.
Mutter: Guten Tag Carlos, welche Krankheit hat der Onkel
Carlos: Er leidet an Armut, das ist eine sehr verbreitete Krankheit in Guatemala, aber zum Glück gibt es ein sehr wirksames Medikament: Geld
Mutter: Und wie hängt die Kerze damit zusammen?
Carlos: Adrian, ich beneide dich um deine rationell denkende Mutter!
Adrian: Übertreib nicht!
Carlos: Meine Mutter hat mich gezwungen, die heilige Corona in den Flur zu hängen
Adrian: Er hat eine Sondergenehmigung des Plenums bekommen, im Gemeinschaftsbereich Devotionalien zu platzieren, auch wenn es niemand versteht.
Havin: (hatte nach dem Einschenken des Tees das Zimmer verlassen und kommt jetzt zurück) Liebe Mitbewohner, ich brauche morgen ganz wichtige und selbstlose Hilfe. Ich darf die Hintergründe nicht erzählen, deshalb bleibt es für euch hochgradig unverständlich. Trotzdem möchte ich euch bitten, meine Anweisungen genau zu befolgen. Carlos muss mir etwas Schweres zum Bahnhof bringen, dafür braucht er Adrians Transportfahrrad.
Carlos: Was ist es denn?
Havin: Ich sagte: geheim und deshalb unverständlich, du bekommst Anweisungen über Signal. Und jetzt muss ich noch etwas vorbereiten, keine weiteren Fragen bitte!
Carlos: Jawohl! (zu Adrian und Mutter) Kocht ihr?
Mutter: Adrian wird mich jetzt zum Essen einladen, ich hoffe es gibt immer noch den leckeren Sarden.
Carlos: Dann bereite ich den Science Slam vor. Ich muss gewinnen, gegen Alexander, den Gangster

Szene 9: Carlos Zimmer
Carlos am Rechner, Powerpoint und Bildbearbeitung der Fotoaufnahmen mit Tickla und Miriam

Szene 10: Im Restaurant
Adrian und seine Mutter sitzen zu zweit an einem Sechspersonentisch. Sie sind unschlüssig ob sie gehen sollen oder noch einen Nachtisch nehmen könnten. Da betritt Ravi mit zwei Wissenschaftlern, einer Doktorandin und Gerlinde Girlande das Restaurant. Ravi schaut sich fragend um, denn er braucht Plätze für sich und seine Begleiter, aber es sieht aus, als sei alles besetzt.
Ravi: Hallo Adrian, schön, hier trifft man immer jemanden
Adrian: Darf ich vorstellen, das ist meine Mutter und dies ist Ravi Miller, Dr. Miller
Mutter: Ja, das kannst du gerne betonen, auf deinen Doktor werden wir ja vermutlich noch zehn Jahre warten
Ravi: Das glaube ich nicht, Adrian ist sehr zielstrebig
Mutter: Setzen sie sich doch Herr Dr. Miller
Ravi: Danke, aber wir sind eine Gruppe, der Direktor vom Fraunhofer ist mein Gast und dann noch Mitarbeiter von mir und von ihm, wir haben da noch etwas Wissenschaftliches zu besprechen, (etwas vorwitzig zu Adrian) du weißt schon, die nächsten 10 Millionen müssen weg!
(er schaut sich hilflos um)
Adrian: Ihr könnt euch hier hinsetzen, wenn euch der Platz reicht, wir gehen jetzt sowieso.
Ravi: Das würde mir aus der Klemme helfen, ich hätte nicht gedacht, dass heute so voll ist. Ich habe keine Alternativen.
Er winkt seine Begleiter, die an der Tür stehen geblieben waren, herbei.

Szene 11: Friedrich-Ebert Straße, Eingang zu einer Bar
Mutter: Da wir so überstürzt aufgebrochen sind, gehen wir jetzt auf jeden Fall noch in diese Bar…Wenn dein Freund mit dem Direktor vom Fraunhofer ausgeht, hat er es offensichtlich schon zu etwas gebracht
Adrian: Und die Sekretärin, die er angeblich überhaupt nicht mag, war auch dabei
Mutter: Nur diese Tickla fehlt noch, die will ich sehen. Aber ich hoffe, sie will nicht heute Nacht in ihr Bett.
Adrian: Nein, das wird sie nicht
Adrian und Mutter gehen durch die nächtlichen Straßen..

Szenen 12: Haustür, Hausflur, Treppe, Wohnungsflur
Sie erreichen ihr Haus. Beim Öffnen der Haustür huscht Havin mit einem großen Karton oder Verpackungsmaterial vorbei
Mutter: Packen sie noch eine Packet für die Heimat?
Havin: Welche Heimat meinen sie? Das kann man unterschiedlich definieren, gute Nacht
Adrian: Ja, gute Nacht, hier geht’s lang (er schiebt oder winkt sie in Ticklas Zimmer hinein)

Szenen 13: In Adrians Zimmer
Adrian geht in sein Zimmer, schaltet eine kleine Nachttischlampe an, erschrickt, Tickla sitzt auf seinem Sofa am Bett
Tickla: Hallo, Adrian
Adrian: Ich dachte, du bist bei Mimi? In deinem Bett liegt jetzt meine Mutter,
Tickla: Das ist in Ordnung. Kannst du dich noch erinnern?
Adrian: An was?
Tickla: Was fällt dir denn ein?
Adrian: Dass du schon einmal hier gesessen hast, am ersten Abend, als wir beschlossen haben, dass du und Ravi hier einzieht, beide. Und nicht nur einer von euch.
Tickla: Ja, daran denke ich auch, und ich denke auch daran, dass ich damals eine Message bekam, die Nachricht, meine Tante ist krank, sehr krank, gefährlich krank. Heute war es so weit, heute hat sie uns verlassen, nicht nur mich, sondern auch ihre Kinder.
Adrian: Das tut mir leid
Tickla: Ja, das tut uns allen sehr leid, der Junge ist 11, das Mädchen 9
Adrian: Und der Vater?
Tickla: Verschwunden, schon lange….
Adrian setzt sich neben sie, sie kippt zur Seite und schmiegt sich an ihn
Tickla: Manchmal bin ich sehr glücklich hier zu sein… aber gleichzeitig traurig, weil meine Heimat untergehen wird, es dauert nicht mehr lange.
Adrian: Sag das nicht!
Tickla: Doch ich sage es, und ich könnte dir auch sagen, was schuld an diesem Untergang ist!


Szene 14: Küche
Adrians Mutter in der Küche, Frühstück im Schnelldurchlauf. Die Dialoge sind nicht zu hören, aber man sieht, dass die Mutter mit allen freundliche Worte tauscht und man sieht auch, dass alle unterschiedliche Frühstücksgewohnheiten haben:
Havin füllt die Thermoskanne, Ravi holt zwei Tassen Kaffee, Carlos macht sich ein Müsli aus der Packung, Tickla schmiert sich Toastbrote, Adrian kommt als letzter, ebenfalls Müsli, aber eine komplizierte Mischung mit vielen speziellen Zutaten.

Szene 15: Hauseingang auf der Straße
Zwischen den verschiedenen Personen, die frühstücken jeweils der Blick auf die Haustür, wenn eine Person das Haus verlässt. Zuerst Havin, dann Carlos, Gerlinde Girlande, Tickla, Ravi. Carlos kommt zurück

Szene 16: In der Küche
sitzt immer noch Adrians Mutter und liest die digitale Ausgabe einer renommierter deutsche Tageszeitung.
Adrian: Hast du alle meine Mitbewohner kontrolliert und überprüft, ob sie eifrig zur Arbeit gehen?
Mutter: Ja, habe ich, alle sind weg, nur du sitzt hier noch herum! Im Schlafanzug.
Adrian: Normaler Weise würde ich heute zu Hause bleiben, denn ich habe Besuch, dich! Aber damit davon überzeugt bist, dass ich ein zielstrebiger Nachwuchswissenschaftler bin, gehe ich jetzt und lasse dich allein. Viel spaß!

Szene 17: Flur, Adrians und Havins Zimmer
Adrian zieht sich eine Hose an, steckt den Laptop in die Umhängetasche, geht dann zur Haustür. Havins Zimmertür steht offen. Adrian geht hinein und sieht Carlos mit dem großen Karton.
Carlos: Ganz schön schwer der Pizzaofen
Adrian: Was für ein Pizzaofen?
Carlos: Steht hier drauf, Hochgeschwindigkeitspizzaofen, und wir haben keine einzige bekommen
Adrian: Das ist nie und nimmer ein Ofen….
Carlos: … ich mache was Havin gesagt hat.

Szenen 18: Hinterhof, Fahrradschuppen
Adrian und Carlos zur Hoftür raus, zum Fahrradschuppen, Adrian nimmt sein cooles Stadtfahrrad, während sich Carlos mit dem Transportfahrrad abmüht. Er hat das Smartphone in der Hand.
Havins Stimme im Off: Den Karton mit der Beschriftung Hochgeschwindigkeitspizzaofen unten, flach im Lastenfahrradverstauen. Die Tüten mit geschredderten Dokumenten und den Karton mit Altpapier über dem Hochgeschwindigkeitspizzaofen so stapeln, dass der Karton nicht zu sehen ist.

Carlos: Weißt du, was das soll?
Adrian: Nein, ich bin mit meiner Mutter voll ausgelastet. Mach einfach, was sie will, Havin ist manchmal sehr eigen, aber man kann sich immer auf sie verlassen.

Blick auf die Haustür: Erst kommt Adrian, dann Carlos mit dem Lastenrad

Szenen 19: Am Bahnhof
Carlos parkt das Fahrrad, dann schleppt er die schwere Kiste in die Bahnhofsvorhalle. Während er wartet erreicht ihn eine Signal-Nachricht und er geht zur Toilette.
Aus der Toilette kommt Havin in Arbeitskleidung mit Kappe, so dass man sie kaum erkennt. Zur Begrüßung von Carlos hebt sie kurz die Sonnenbrille. Sie hat eine Sackkarre dabei und eine geräumige Umhängetasche.

Havin: Danke Carlos, hier kannst es draufstellen…
Carlos: Ich hätte dich fast nicht erkannt, was ist denn?
Havin: Nichts, aber ich komme erst Übermorgen zurück. Grüß Adrians Mutter, sag ihr, dass ich auf einem Informatikkongress bin. Und viel Erfolg beim Science Slam

Szene 20: WG-Wohnung, Flur
Adrians Mutter hört verdächtige Geräusche an der Wohnungstür, schleicht sich hin, lauscht und öffnet sie schnell. Ein Herr mit Schnauzbart, Handwerkerkleidung und leichtem, türkischen Akzentsteht steht da und hält ein Werkzeug in der Hand.
Mutter: Guten Tag, was machen sie da?
Handwerker: Isch bin von der Breitbandnetzgesellschaft, wir haben eine Störung, die ich noch nicht lokalisieren konnte
Mutter: Wieso klingeln sie nicht? Hier funktioniert alles, haben sie einen Ausweis?
Handwerker: (zieht einen Ausweis heraus) Es gibt Hinweise, dass hier in dieser Wohnung ein Fehler behoben werden muss
Mutter: Das erscheint mir sehr unglaubwürdig. (Sie will die Tür zudrücken aber er stellt seinen Fuß auf die Schwelle. Sie holt ihr Smartphone raus) Ich werde jetzt die Polizei anrufen.
Handwerker: Sagen sie Frau Samsuddin, dass wir auf jeden Fall einen Server-Check durchführen müssen, wir haben einen 24/7-Service, wir können auch nach 22 Uhr kommen

Szene 21: WG-Küche
Mutter: Ich sagte, hier gibt es keine Frau Samsuddin, und ob das eine Drohung sein soll, da meinte er, nein, er wolle nur auf den weitreichenden Service seiner Firma hinweisen, aber als ich dann fragte, ob er mir eine Visitenkarte geben könne, ging er.
Carlos: Das ist sehr schleierhaft, aber normaler Weise hat Havin alles unter Kontrolle.
Mutter: Was sind das für Machenschaften mit der lieben Havin. Was war denn mit dem Packet, dass du transportieren sollst.
Carlos: Ich weiß es nicht und sie hat mir das Versprechen abgenommen, dass ich das, was ich nicht weiß und nicht verstehe, niemanden erzählen soll

Szene 22: Treppenhaus der WG
Adrian steigt die Treppe hinauf, kommt aber nicht weiter, da eine Spedition gerade ein Klavier liefert.
Adrian: Was ist das denn?
Möbelpacker: Ich glaube, man kann erkennen, was das ist. Und wenn sie mal probieren wollen, ob es schwer ist, dürfen sie gern mitanlangen.
Adrian: Nein danke, darf ich vorbei?
Möbelpacker: Bitte nicht, ist gefährlich und wir gehen nur bis zur ersten Etage
Adrian: Da wohne ich.
Möbelpacker: Sind sie Herr Hartmann-Wimmer?
Adrian: Ja, aber mein Klavier ist in Kornwestheim
Möbelpacker: Vorgestern war es dort, jetzt ist es hier

Szene 23: Wohnungsflur, Gemeinschaftszimmer
Adrian schiebt sich auf dem Treppenabsatz an den Möbelpackern vorbei, stürmt in die Küche
Adrian: Da kommt ein Klavier die Treppe hoch, was soll das?
Mutter: Ja, dein Klavier, erkennst du es nicht?
Adrian: Aber du hast angerufen, wegen dem verdächtigen Telekom-Mann.
Mutter: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Das Klavier konnte ich gerade noch vor dem Gerichtsvollzieher retten, und wo soll ich es hintun? In die Handtasche. Da dachte ich: Überraschung! Hier ist es sicher und du freust dich hoffentlich. In eurer munteren Kommune, da ist ein Klavier wirklich etwas, was fehlt
Adrian: Ich habe gesagt, dass ich das nicht will, erst, wenn ich eine Professur habe
Mutter: Du schaffst ja nicht mal deine Doktorarbeit und außerdem konnten wir bisher davon ausgehen, dass das Klavier in Kornwestheim sicher ist, aber dem ist nicht mehr so.

Es rumpelt laut im Flur, vermutlich ist jemand an das Schuhregal gestoßen
Adrian: Vorsicht!
Carlos bekommt einen Schreck, eilt den Möbelpackern entgegen, damit sie das Heiligenbild der Corona nicht beschädigen.
Adrian: (an die Mutter gewandt) Was war denn mit dem Telekom-Handwerker?
Mutter: Der war hochgradig verdächtig. Der war auch nicht von der Telekom. Ich vermute, er dachte, da ist niemand zuhause, der wollte gerade einbrechen, … auf jeden Fall hatte er es auf Havin abgesehen, Frau Samsuddin, sagte er.
Adrian steht auf, um in Havins Zimmer nach dem Rechten zu sehen, trifft dabei auf Carlos, der mit dem Heiligenbild im Weg steht
Carlos: Wenn die heilige Corona vom Piano überrollt wird, dann gibt es eine Katastrophe
Adrian: Kann ich mal durch?
Möbelpacker: (Zu Adrian) Wo soll es denn nun hin?
Adrian: Da vorn…. irgendwo, aber nicht in mein Zimmer
Mutter: Du hast doch so viel Platz…
Adrian in Havins Zimmer, er schaut in die Ecke, wo der Sever stand, Carlos kommt hinterher
Adrian: Der Server ist weg, den hast du zum Bahnhof gebracht. Hier ist jetzt der Pizzaofen? Nein, das ist eine gewöhnliche Mikrowelle
Es klingelt an der Haustür
Adrian: Was ist denn jetzt schon wieder?
Er geht zur Gegensprechanlage
Adrian; Ja? Was? Erster Stock!
Möbelpacker: So richtig?
Adrian: Jetzt kommt auch noch ein Klavierstimmer
Mutter: Du weißt doch, das muss sein, nach dem Transport, habe ich gleich bestellt,
Adrian: (ironisch) Du bist zu gut zu mir
Mutter: Ich habe noch eine Überraschung
Adrian: Sag es nicht, sag es nicht, ich geh einfach wieder ins Büro
Mutter: Wollten wir nicht drüber nachdenken, ob wir die Polizei anrufen, wegen dem falschen Handwerker?
Adrian: Der Server ist weg, ich vermute er wurde von Havin evakuiert. Solange sie sich nicht meldet, machen wir nichts.
Klavierstimmer: Oh, das ist ja ein edles Stück
Ab jetzt im Hintergrund immer das typische „Pling pling“ des Klavierstimmers

Szene 24: Carlos Zimmer, Flur
Carlos an seinem Schreibtisch, er versucht sich zu konzentrieren, um seinen Vortrag für den Science Slam auszuarbeiten, aber das permanente Pling pling des Klavierstimmers lenkt ihn ab

Szene 25: In der Küche
Carlos geht in die Küche:
Carlos: Frau Hartmann, sie müssen morgen Abend mitkommen und für mich stimmen. Ich halte einen Vortrag beim Science Slam in Finsterwalde, das ist mit dem Zug gut zu erreichen
Mutter: Natürlich, das mache ich gerne, Adrian freut sich, wenn ich weg bin
Carlos: Er soll auch mitkommen, aber ich kann mich überhaupt nicht konzentrieren. Ist der Klavierstimmer jemals fertig?
Mutter: Heute macht er nur das grobe, das Finetuning kommt morgen, das geht besser in zwei Schritten, das Klavier muss sich erst mal akklimatisieren

Fortsetzung Szene 24: in Carlos Zimmer
Carlos übt den Text für den Science Slam zuhause

Szene 26: In einer Bar
Ein Gasthof mit Bühne, auf der Carlos steht und seinen Vortrag hält. Es gibt eine Beamprojektion und am Tisch vor der Bühne sitzen die anderen Slamer und ihre Begleiter, also auch Adrian und seine Mutter, aber auch Saskia mit Alexander.
Nahtloser Übergang von Carlos Zimmer zum Science Slam, Parallelmontage mit Alexander, der eine Powerpointfolien mit vielen Internetmemes zeigt, während bei Carlos die Bilder von Tickla und Mimi zu sehen sind, die sie im Labor aufgenommen haben.

Carlos (zu Adrians Mutter): Das darf der alles gar nicht zeigen
Saskia zu Alexander, sie kommentiert ein Bild mit einem sehr schäbig wirkenden DIY-Reaktor.
Saskia: So sah es auf der Datscha von meinem Onkel auch aus, das ist doch keine Wissenschaft!
Moderator: Liebes Publikum, wir haben die Abstimmung ausgewertet und es ist ganz knapp, aber nur einer kann gewinnen. Fünf sind angetreten für die Wissenschaft und für sie, das Publikum und ich kann ihnen sagen, der Sieger ist: Alexander mit seinem Beitrag über Wissenschaftsmanagement, ganz knapp gefolgt von Carlos Sanchez, der Mann, der die Welt mit DIY-Gasreaktoren verändern will.

Carlos: Ich protestiere!
Moderator: Bitte, der Preisträger auf die Bühne
Carlos (springt auf die Bühne): Ich erhebe Einspruch
Alexander kommt ebenfalls
Moderator: Da haben wir den Preisträger
Carlos: Aber er hat sich nicht an die Regeln gehalten
Moderator: Hallo Alexander, Glückwunsch zum ersten Preis beim Science Slam. Und Glückwunsch Carlos, zum zweiten Preis
Carlos: Ich bin der Meinung, dass Alexander nicht den ersten Preis bekommen kann, weil er in seinem Vortrag Bilder verwendet hat, die er aus dem Internet geklaut hat
Alexander: Ich habe sie nicht geklaut, ich habe sie runtergeladen
Carlos: Aber es hieß, es muss eigenes Material sein
Alexander: Das ist es doch, selbst runtergeladen, selbst eingefügt (Gelächter)
Moderator: Ich möchte mich da jetzt auch nicht in ein eine urheberrechtliche Debatte einmischen, das führt vermutlich zu weit, Alexander gewinnt den ersten Preis beim ersten Science Slam in Science Pavillon in Finsterwalde, Applaus bitte für Alexander Assel
Carlos: (Murmelt, geht im Applaus unter) Ich protestiere
Moderator: und Applaus für den zweitplatzierten Carlos Sanchez, Danke für alle Zuschauer und bitte jetzt noch mal alle Slamer auf die Bühne für das Gruppenfoto

Szene 27: Science Slam Bar
Am Tresen treffen Saskia und Carlos aufeinander
Saskia: Mensch Carlos, das war ja total peinlich, du stellst dich auf die Bühne und sagst, ich habe gewonnen, obwohl du zweiter warst.
Carlos: Es war eine Vorgabe, dass wir nur Bilder verwenden, für die wir selbst das Urheberrecht haben oder Skizzen und Tabellen wissenschaftlicher Creative Commons. Wenn sich jemand diese Vorgabe nicht einhält, muss das doch Konsequenzen haben, oder nicht?
Saskia: Das waren nur Kleinigkeiten
Carlos: Finde ich nicht
Saskia: Wenn du beim Fußball foulst, bekommst der andere einen Freistoß, aber du hast nicht automatisch verloren
Carlos: Ich wollte aber gewinnen, um bei dir Eindruck schinden
Saskia: Ich fand es zum fremdschämen, tut mich echt leid, muss ich so sagen
Alexander: (kommt dazu und ist ungehemmt arrogant, meint das aber ironisch)
Herzlichen Glückwunsch Carlos zum zweiten Platz, den ersten konntest du nicht kriegen, weil ich dabei war.
(zu Saskia:)Ich würde sagen, wir fahren jetzt, oder möchtest du noch hier verweilen?
Alexander nimmt Saskia mit. Sie steigen in seinen zweisitzigen Sportwagen und fahren davon.


Szene 28: Im Regionalexpress, nachts, Rückweg vom Science Slam
Carlos, Adrian und seine Mutter sitzen im Zug
Mutter: Carlos, besonders schön waren die Fotos, die sie von den Versuchsanlagen gemacht haben, mit den beiden hübschen Wissenschaftlerinnen, sehr originell, das war ein ganz anderes Niveau, als die Spaßbildchen von diesem populistischen Spaßvogel.
Adrian: Der normale Mensch braucht als rezipient immer Anknüpfungspunkte zu seinem eigenen Kulturbiotop, das neue und originelle verschließt sich naturgemäß dieser Anknüpfung und kann deshalb viel schwerer spontane Begeisterung wecken.
Mutter: Trotzdem war ihr Vortrag viel besser
Adrian: Dem will ich überhaupt nicht widersprechen. Nebenbei bemerkt: Der populistische Spaßvogel ist womöglich bald der neue Hausbesitzer.

Im Hintergrund hat sich eine Frau mit langem Gewand, Kopftuch und Brille genähert. Sie setzt sich neben die Gruppe, nimmt die Brille ab
Havin: Hallo!
Carlos, Adrian: Havin?!
Havin: Ja, ich bin es, schon auf dem Rückweg.
Adrian: Wo hast du den Server?
Havin: Was für ein Server? Ich weiß von nichts. Ich war shoppen, in Nordrheinwestfalen, das ist immer eine Reise wert, aber jetzt fahre ich wieder nach Cottbus. Wie schön euch hier zu treffen
Carlos: Das ist kein Zufall, du hast gewusst, dass ich heute beim Science Slam in Finsterwalde bin und dann zwangsläufig in diesem Zug sitze.
Adrian: Das war leicht. Aber woher wusstest du, dass der Server in Gefahr ist?
Havin: Adrian, ich habe keinen Server! Verstanden?
Adrian schaut betreten, Havin wendet sich an die Mutter
Havin: Adrian hat irgendwo in seinen revolutionären Newslettern gelesen, dass es irgendwo in Deutschland einen Server mit irgendwelchen vertraulichen Dokumenten der revolutionären Kurdischen Arbeiterpartei PKK geben soll. Wenn man das glaubt, dann könnte man auch vermuten, dass der türkische Geheimdienst hinter dem Server her ist. Wer wiederum den türkischen Geheimdienst kennt, der hat guten Grund zur Annahme, dass der Server weiterhin nicht gefunden wird.
Mutter: Havin, sie sind doch hoffentlich nicht in Gefahr?
Havin: Ich? Wieso? Ich habe damit überhaupt nichts zu tun. Das sind nur Gerüchte! Und du, Carlos, hast du gewonnen?
Adrian: Hat er nicht!
Havin: Ich wollte dabei sein, ging leider nicht
Mutter: Das ist ganz toll, dass sie wieder da sind, Havin, denn morgen ist mein letzter Abend, da werde ich für alle kochen und ich habe noch eine dritte Überraschung!
Adrian: Drei? Ich weiß nur von einer. Das Klavier
Mutter: Überraschung 1: das Klavier, Überraschung 2: der Klavierstimmer,
Überraschung 3: die Klavierspielerin, morgen gibt es bei euch in der Wohnung ein Hauskonzert. Habe ich alles schon organisiert. Ich kann das inzwischen auch, mit dem Internet und so, ihr braucht euch um nichts kümmern, ihr braucht auch keine Angst haben, die Häppchen sind vegan, der Wein biodynamisch und die Musik anspruchsvoll und politisch engagiert.

Szene 29: Wohngemeinschaft, Gemeinschaftsraum
Tanja Konzukharenko, alias Tankataka, sitzt am Klavier. Sie ist eine ukrainische Sängerin mit Architekturabschluss und lebt in Cottbus.
Die WG-Bewohner, einige Gäste wie Mimi und Adrians Mutter sitzen auf den vorhandenen Stühlen und auf dem Sofa
Tanja: Wie ist eure Stimmung? Soll ich heitere oder traurige Lieder singen?
Carlo: Nichts Heiteres! Ich habe gegen Alexander verloren… und Saskia sagt, ich sei zum fremdschämen, so schlecht ist die Welt.
Tickla: Spiel ein Lied für meine Tante, sie ist gestorben und hat ihre zwei Kindern viel zu früh verlassen.
Ravi: Und du hast mich verlassen.
Adrian: Mein Vater wurde von seinem Vermögen verlassen,
Havin: … (alle schauen auf sie) Tut mir leid, der Verkauf meines Hochgeschwindigkeits–pizzaofens verlief ohne Komplikationen. Aber ich höre mir sehr gerne traurige Lieder an und denke an die vielen Dinge, die dringend besser werden müssen. Überall Ungerechtigkeit. Überall kriechen Faschisten und Rassisten aus ihren Löchern. Es gibt so viel zu tun! Bitte traurig!
Adrian: So traurig wie möglich!
Tanja beginnt Klavier zu spielen, singt auf Ukrainisch, was niemand versteht, aber alle fangen an zu weinen.

Ende von Folge 6
Ende der ersten Staffel

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