Konzerthighlights Cottbus in kleinen und allerkleinsten Locations.


Red Mass aus Brasilien, wohnhaft in Berlin, machten bei ihrem Auftritt in der Galerie Fango einen infernalischen Lärm, so dass sich gar nicht beurteilen ließ, wie gut die Musik war. Aber da ich in brasilianischer Begleitung das Konzert besuchte und mein eigener Brasilienaufenthalt noch nicht lange zurücklag, war es ein toller Abend, einerseits wegen der Musik, andererseits wegen der netten Einvernehmlichkeit, mit der man in der kleinen Galerie Fango mit den Bands in Kontakt kommt, plaudert und sich nach Möglichkeit gegenseitig versichert, wie schön es ist, sich hier zu treffen. Herausragend war für mich der Schlagzeuger, der wirklich wie ein Derwisch auf die Trommeln und sein riesiges Becken eindrosch. Beim Spielen mit nacktem Oberkörper flogen die langen Haare durch die Luft und jeder Schlag war ein Vergnügen. Nach dem Konzert erkannte man ihn kaum wieder, denn da hatte er sich einen Pferdeschwanz gebunden und wirkte plötzlich klein und harmlos, obwohl er kurz vorher solch eine furioses Schlagzeug-Feuerwerk entfacht hatte. Red Mass waren so in Bewegung, dass mir gar kein brauchbares Foto gelang. Ich hoffe die Abbildung vermittelt etwas von der Energie.
Grundsätzlich ist die Galerie Fango für laute Bands nicht so gut geeignet, weil sie zu klein ist, der Sound nicht gut und die meisten Leute gar keinen Blick auf die vollständige Bühne haben. Wer was sehen will, muss ganz vorne sitzen, das heißt ein bis zwei meter vor der Band, und das ist dann bei lauten Acts ganz schon dicht. Ist aber bei ruhigen Musikern sehr schön.

Zum Beispiel bei Susa Berivan!
Ich wusste nicht, was mich erwarten würde, hatte mich dann aber doch spontan entschieden zum Konzert der unbekannten Sängerin zu gehen. Ich kam auch genau zum richtigen Zeitpunkt. Im Gedränge vor der kleinen Bar holte sie sich gerade ein Getränk, das sie mit auf die Bühne nehmen wollte. Da sie direkt neben mir stand, glaubte ich erkennen zu können, dass sie ihr Kleid selbst genäht hatte, was sie mir gleich sympathisch machte. Ich bestellte mir mein langweiliges alkoholfreies Bier und setzte mich vor die Bühne. Als Susa Berivan begann auf ihrer abgeschabten Gitarre wunderschönes Fingerpicking mit klirrenden Metallsaiten zu spielen und dazu ihre spröde, zerbrechliche Stimme erklang, spürte ich vom ersten Moment an emotionale Ergriffenheit. Mir war, als käme die Musik aus jener fernen Vergangenheit, als fahrende Sängerinnen noch durch den mittleren Westen zogen und ihre Protestsongs gegen das reaktionäre Establishment sangen. Es gibt viel Musik, die gut ist, aber sie lässt mich kalt oder wirkt nur mit Geschmacksverstärker (Lautstärke und /oder Alkohol). Bei Susa Berivan schien die Musik so selbstverständlich, so pur und intensiv, dass bei mir ein Großteil der Synapsen schlagartig in den Zustand wehmütiger Glückseligkeit einrasteten. So ist Musik in ihren besten Momenten!
Ich kaufte die eine CD, die es von Susa zu erwerben gab und stellte im Lauf der folgenden Woche fest, dass die Musik auch als Konserve ihre wundersame Wirkung bei mir entfaltet. Der kleine Kreis meiner Lieblingssängerinnen hat sich erweitert.

Ganz anders war es bei Vesna Pisarovic: Eine Free Jazz Sängerin mit zwei Schlagzeugern und sonst nichts. Sie spielte im Obenkino, wo die Tradition der Peitzer Jazz-Szene mit vereinzelten Konzerten sparsam aufrechterhalten wird. Ausnahmsweise las ich nicht nur den Infotext sorgfältig, sondern recherchierte auch im Internet, was von Frau Pisarovic zu erwarten sei. Ich befürchtet gar, dass es eine ausufernde Eskapade losgelöster, unzusammenhängender Vokalartistik sein würde und wollte mich so setzen, dass ich im Notfall unauffällig den Raum verlassen könnte. Meine Befürchtungen erwiesen sich als zutreffend. Auch die Schlagzeuger legten sich mächtig ins schlagende Zeug um den Free-Jazz-Anspruch wie nach dem Lehrbuch zu befriedigen: Unzusammenhängende Patterns, ständige Dekonstruktion, ganz viel erweiterte Spielweisen (rütteln, schütteln, klappern, Geigenbogen auf den Cymbals, Pfeifchen, etc.). Das mag ich nicht, weil es nach meinem Empfinden gar nicht so sehr der Musik dient, sondern vor allem dem Klischee genüge leistet. Es sei denn, es ist das Vorspiel zu energetischen Entladungen. Die gab es bei Vesna Pisarovic und ihren Schlagzeugern auch nicht. Wenn sich dann doch ein Beat entwickelte, dann immer etwas zurückgenommen, um der Sängerin genug akustischen Raum zu lassen. Aber! Obwohl mir die Zutaten nicht gefielen, war das Gesamtereignis dann doch überwiegend überzeugend, die Dramaturgie des Auftritts entwickelte sich zwar sprunghaft und unzusammenhängend, aber je länger ich zuhörte, desto angenehmer wurde es. Die Schlagzeuger waren eben keine Intenitätsperkussionisten, sondern sie glänzten durch ein ineinandergreifendes Rhythmusgeflecht im mittleren Lautstärkebereich, durch wechselseitige Ergänzungen und reizvolle Klänge. Die Sängerin konnte zwar den Klischees, die ich von Free-Jazz-Gesang habe, nicht ganz entkommen, aber es war eine geschmackvolle, gute Mischung aus verschiedenen Formen expressiver Vokal-Kunst, die im Lauf des Abends meine Vorurteile überwand. Da das Konzert relativ kurz war, endete es, bevor ich seiner überdrüssig werden konnte. Wieder ein gelungener Abend, der zeigte, dass in Cottbus auch verwöhnte Spezialisten mit sehr engem Akzeptanzbereich ab und zu auf ihre Kosten kommen.


Apropo Kosten: Im Obenkino betrug der Eintritt 15.- €, das war voll in Ordnung. In der Galerie Fango finden die Auftritte sowieso auf Spendenbasis statt.
Diese drei Konzerte waren nur die Spitze des Eisberges, die herausragenden der letzten Monate. Ich weise eindringlich auf weitere gelungene Auftritte hin: Crow Baby (Bild links), ebenfalls in der Fango, Brezel Göring und Revernd Beat-Man im Comicaze, Earth Tongue im Lehmbau, Pigeon im Chekow (bei Stuss am Fluss). Für alle, die noch eine Nachhilfestunde über Ost-New-Wave brauchten, gab es ein Gratiskonzert von Sandow (Bild rechts) in der Gedenkstätte Zuchthaus Cottbus, Subkultur als politische Bildung. Das kennen wir allerdings schon vom Jazzfestival Peitz, da steckt auch die Bundeszentrale für politische Bildung als Sponsor drin.
Ich hoffe jetzt sind alle erstaunt, was in Cottbus alles los ist!

Selfmade-CD von Susa Berivan im Kreise anderer Lieblingssängerinnen