Wo ist meine Schallplatte?

Wo ist meine Schallplatte „Unser Debut“ der tödlichen Doris? Wer kann sachdienliche Hinweise zum Verbleib dieses für mich sehr wichtigen Tonträgers geben?
Ich gebe zu, dass ich mich ich mich in den frühen 80er Jahren als größter Fan dieser obskuren Künstler-Gruppe zu positionieren versuchte, obwohl ich eigentlich kein Fan sein wollte. Andererseits machte das Spaß, weil damals in der fränkischen Provinz niemand diese Band kannte.

Das Cover von „Unser Debut“ als Ausstellungsstück in der Berlinischen Galerie. Zuhause ist diese Schallplatten seit einigen Jahren nicht mehr in der Schallplattensammlung zu finden.

Doch abgesehen von meinem Fangetue hat mich die tödliche Doris stark beeinflusst. Eine sehr coole Idee war die „unsichtbare 5. Schallplatte“ die uns aus den Klauen des Kapitalismus befreien sollte, denn diese Schallplatte muss man nicht kaufen, sie existiert nur in unseren Köpfen. Allerdings, und da funktioniert das Konzept doch nicht so richtig, muss man vorher die 4. Platte „Unser Debut“ und die 6. Platte (die eigentlich die fünfte war) „sechs“ gleichzeitig anhören, dann entsteht aus dem Zusammenklag die unsichtbare fünfte Platte. Tolle Idee, aber inzwischen total veraltet, weil das Internet aus dem nichts heraus schier unendlich viel in unsere Köpfe pumpt, mit und ohne Geld, entkoppelt von Vinyl-Trägern.

Trotzdem ist „Unser Debut“ irgendwie aus meiner Plattensammlung verschwunden. Verloren, geklaut, entmaterialisiert? Ich finde es schade, denn „Unser Debut“ würde ich gerne ab und zu hören, es ist meine Lieblingsplatte der tödlichen Doris. Die richtige Balance zwischen irrem Konzept und unterhaltungstauglicher Avantgarde-Musik.

Vor kurzem hörte ich, dass Käthe Kruse in der Berlinischen Galerie ausstellt und fuhr an einem Sonntag hin.

Auf die kleine Frage „wie geht es dir jetzt“, die auf dem Cover von „Unser Debut“ abgedruckt war, antwortet sie 35 Jahre später „jetzt ist alles gut“
Finde ich nicht! Wenn es ironische gemeint ist, verstehe ich den Witz nicht, wenn es ernst sein soll, widerspreche ich mit Bezug auf weltpolitische und ökologische Probleme.
Käthe Kruse war die Schlagzeugerin und Vokalistin der tödlichen Doris. Ich weiß nicht genau, welche Rolle sie im Rahmen der kreativen Band-Prozesse spielte. Mastermind war der geschwätzige und umtriebige Wolfgang Müller, Multiinstrumentalist Nickolaus Utermöhlen sorgte zweifellos für den größten Teil der Musik und dann gab es ja auch noch die unverschämt gut aussehende Tabea Blumenscheid, eine durchgeknallte Kreuzberger Szeneberühmtheit, die dem Heteropublikum (falls vorhanden) den Kopf verdrehen sollte und mehr ein special Guest, denn ein festes konzeptionelles Mitglied der Band war.

Die Musikinstrumente der tödlichen Doris feinst säuberlich in Leder eingeschlagen. Ein Kunstwerk von Käthe Kruse

Es hat mich immer beeindruckt, wenn ich eine Kunstaktion „einfach, aber genial“ oder zumindest „einfach, aber gut“ fand, beispielsweise wenn die tödliche Doris auf der Bühne einen handelsüblichen Wasserkessel auf einer handelsüblichen Kochplatte zur Erzeugung des infernalischen Lärms einer Wasserkesselpfeife benutzte. Das Bestreben der Dilettanten Kunst zu ent-akademisieren, der bürgerlichen Hochkultur zu entreißen und dem Kapitalismus vorzuenthalten gebietet in meinem Verständnis eine gewisse Einfachkeit. Das Gegenteil von „einfach, aber genial“, nämlich „mega-kompliziert und überflüssig“ trifft in ganz besonderer Weise auf die Umhüllung der tödlichen-Doris-Musikinstrumente mit Leder zu. Die extrem aufwändige Art, alle Instrumente (auch den erwähnte Wasserkessel) fachmännisch oder fachfraulich in Leder einzuschlagen, hat an Arbeitszeit und Material sicherlich tausende gekostet. Sieht cool aus, aber zu manieriert und in meinen Augen ein Bruch mit dem Konzept der frühen Jahre (so, als würden die Sex Pistols mit dem Royal Philharmonic Orchestra God save the Queen auf der Aida spielen). Ich habe nichts gegen eine Konzept-Veränderung, aber wenn mir das neue Konzept nicht gefällt, dann werde ich es nicht aus alter Solidarität zwanghaft gut finden. Ähnlich ging es mir mit der Videoinstalation, bei der Käthe Kruse emotionslos (aber nackt) den Vertragstext vorliest, mit dem die tödliche Doris das kreative Werk und die damit verbundenen urheberrechtlichen Werte untereinander aufteilt. Auch hier verstehe ich den Witz nicht, empfinde es wiederum als kapitalistischen Mechanismus, der angewandt und eben NICHT persifliert wird.
Überhaupt hatte ich befürchtet, dass die Ausstellung die Reflexion der Reflexion der Reflexion des ursprünglichen Werks der tödlichen Doris ist. Die immer wieder kehrende Selbstreflexion in den Anfangsjahren der tödlichen Doris fand ich witzig, aber ich merkte schon, wie es mit jeder Reflexionsstufe langweiliger wurde. 30 Jahre später nur noch Reflexion, wie öde! Nur die Größe und Erhabenheit die sich durch die Anpassung an die herrschaftlichen Galerie-Räume ergab, bereiten Freude und die Genugtuung, dass die Helden der Jugend jetzt musealisiert werden.

Auf dem Bild nur schlecht zu erkennen: Die Projektion ist ca. vier Meter breit, also ziemlich gigantisch.

Die einzige Ausnahme im Reflexions-Taumel ist der Teppich! Der hat nichts mit der tödlichen Doris zu tun, und könnte genauso gut im Teppich-Kurs der Volkshochschule in Wilmersdorf entstanden sein. Wie gut zu wissen, dass Käthe Kruse einen selbstreflexiblen Aufenthalt in Nepal hinter sich gebracht hat. Aber wenn das Ergebnis der Reise dieser Teppich ist, hätte vielleicht auch die Uckermark gereicht. Danke für nichts!

Aber jetzt habe ich mich echt gehen lassen und eine viel zu negative Rezension über eine verdiente Künstlerin geschrieben. Will nicht mal jemand einen Verriss über meine Kunst schreiben? Wenn es niemand macht, mache ich es demnächst selbst, vielleicht bei der Ausstellung auf der Burg Friedland. Denn wie wir schon vom Pressestimmen-Poster der Tödlichen Doris aus dem Jahr 1982 wissen, sind die Verrisse das Salz in der Suppe der medialen Reflexion.

1 Anmerkung zu “Wo ist meine Schallplatte?

  1. Stefan Hetzel

    Vielen Dank für diese offenen Worte, die von enttäuschter Liebe, aber auch Treue zeugen.

    Vielleicht ist es für Geniale Dilletanten besonders schwierig, in Würde zu altern? Wenn man nicht früh stirbt (wie Nikolaus Utermöhlen oder weiland August Stramm), bieten sich eigentlich nur die Optionen Mystikerwerden (wie weiland Hugo Ball), Aussteigen (wie weiland Richard Huelsenbeck) oder eben die Selbstmusealisierung an, also der Weg, den offenbar Frau Kruse ging (Natürlich kann man auch berühmt werden wie die Einstürzenden Neubauten oder weiland Max Ernst, aber das ist ja kein Weg, den man wählen könnte).

    Bleibt die quälende Frage, welches A…loch die Platte klaute!

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