
Brasilia, die Hauptstadt Brasiliens, ist vielleicht die Auto-freundlichste Stadt der Welt, zumindest vom Konzept. Sie versucht auch sehr menschfreundlich zu sein, aber wenn das Überqueren der Straße bedeutet, durch eine 200 Meter lange Unterführung zu gehen, dann kostet das schon etwas Zeit, die man schöner verbringen kann. Ist eben ein bisschen groß geraten für den normalen Fußgänger-Menschen. Die Hauptachsen von Brasilia sind riesige Schneisen mit verschiedenen Fahrspuren, getrennt durch Grünstreifen und Wendeschleifen, also eher ein Ornament als eine schnöde gigantische Piste. Auf dem Plan, oder wahlweise aus der Luft, sieht das ziemlich schön aus, und ist vermutlich ein Vergnügen für Autofahrer, zu denen ich mich nicht zähle und denen ich ihr Vergnügen nicht gönne.



Im Wohngebiet, das aus durchnummerierten Super-Quadraten besteht, ist ein immer wiederkehrendes Konzept der Verkehrsführung realisiert. Dort, wo man von den Rändern in das Wohngebiet reinkommt, ist eine Straße mit Läden, Cafés, Restaurants etc. und dazwischen die Wohnhäuser, alle in Anlehnung an die klassische Modere entworfen, ganz viele auf Stelzen und immer mit großzügigem Abstand zu den anderen Häusern. Es ist eine riesige Parklandschaft, mit üppigen Bäumen, Sportanlagen, Schulen und auch hier etwas zu große, aber normal dimensionierten Straßen. Man kann gut abseits der Autostraßen zwischen den Häusern auf Fußwegen spazieren, kommt dann in den immer gleichen Abständen an die „Versorgungsstraßen“. Im eigentlichen Wohnbereich liegen Kioske, Pavillon-Cafes, Schulen und Sportanlagen. Alles sehr cool und stylisch. Die meisten Stelzenhäuser haben im Erdgeschoß nur eine gläserne Portiersloge und blitzblank polierte Steinfliesen.




Das Haus in dem ich über Airbnb einquartiert war, lag mitten in „Flügel“ Süd, allerdings war es eine bescheidene Behausung ohne Stelzen. Es gab eine blitzende, verspiegelte Eingangstür, aber die Wohnung war extrem kompakt und meine Gastgeberin lebte mit ihrer Mutter äußerst beengt. Die Wohnungstür führte direkt ins kleine Wohnzimmer, die Küche war nur ein Schlauch mit Arbeitsfläche und dann gab es noch mein Zwergenzimmer, das Schlafzimmer und ein miniaturisiertes Bad/WC mit Minimalflur zwischen diesen Räumen. Für eine Einzelperson ganz nett, aber zu dritt? Als ich vor mein vergittertes Schiesscharten-Fenster ein gewaschenes T-Shirt zum Trocknen aufhängte, gabs sofort eine Ermahnung per App. Der Hauswart? Pförtner, Mitbewohner? Irgendjemand hatte sofort die Gastgeberin alarmiert und die alarmierte mich, weil die Hausordnung Wäsche vor dem Fenster verbietet. Wäsche vor dem Fenster sieht nach Favela aus. Angeblich könnte die Wäsche auch gestohlen werden, aber davor hatte ich nun wirklich keine Angst, dass jemand mein olles T-Shirt klaut.
Aber man muss schon sagen, dass diese städtebauliche Anlage sowohl durch seine Größe, seine konsequente Durchführung und durch die gelungenen Details spektakulär ist. Die einzelnen Häuser und die Wege im Inneren der Blocks sind immer anders und hier fühlt man sich auch als Fußgänger und Fahrradfahrer so richtig wohl. Auch wenn ich mir Kritik an der dominierenden Rolle des Autoverkehrs nicht verkneifen kann: In der real existierenden Welt der architekonischer Moderne ist das für mich ein herausragendes Wohlfühlkonzept, zu Recht als Weltkulturerbe anerkannt. Schön, dass ich die Gelegenheit hatte, es mir anzuschauen.






Bushaltestelle im Park, hier gibt es Schatten für die Wartenden.
So schlecht war sie dann doch nicht, die vielgeschmähte Klassische Moderne. Danke für die Schilderung deiner Eindrücke 🙂