Basecaps are back

Begebenheiten bei Festivals für experimentelle Musik in Brandenburg und Schweden.

Die bevorzugte Kopfbedeckung für den progressiven Improvisationsmusiker ist in meiner aktuellen 2024er-Stichprobe (Peitz und Stockholm) die Basecap und zwar trug in jeder der fünf Formationen, die ich mir anhörte, jeweils eine Person eine Basecap, egal ob es sich um ein 20-köpfiges Orchester handelte, oder um einen Gitarren-Solisten. Ansonsten sah ich keine Kopfbedeckungen. Und was haben Basecaps mit der Musik zu tun? Wenig, aber doch so viel, wie alle anderen Codes, die durch Kleidung und Habitus transportiert werden.

Ich war also kurz hintereinander auf zwei Festivals für improvisierte und experimentelle Musik, bei der Jazzwerkstatt Peitz (15. -18. August 24) und beim Frim Fall Festival in Stockholm (23. – 25.August). Fangen wir mit dem größeren und seriösen Festival an, mit Peitz. Man fragt sich zwar, wie es gelingt, sowohl das Publikum, als auch eine beachtliche Anzahl an hochkarätigen Musikern in die brandenburgische Provinz zu locken, aber es funktionierte auch dieses Jahr, vermutlich mit Fördergeldern, woher sie auch immer gekommen sein mögen. Die Zielgruppe ist klein und auch aus der benachbarten Provinzmetropole Cottbus waren nur einige wenige Personen angereist. Die Exklusivität ihres musikalischen Geschmacks zeigte sich kaum im Styling der Gäste, es herrschte betonte Unauffälligkeit und nur dezenter Kulturlook. Wenn mal jemand hip aussah, konnte man erwarten, dass es ein Musiker war.

Auch mit dem Wechsel in der Festivalleitung von Veteran Ulli Blobel zu seiner Tochter Marie Blobel blieb die künstlerische Richtung erhalten. Neu war der Ort des Geschehens, denn die Konzerte fanden nicht mehr in den vielen kleinen, kuriosen Auftrittsorten der Innenstadt, sondern auf dem Gelände des Hüttenwerks statt, einem technischen Museum, auf dem riesigen Hof die kleine Open-Air-Bühne und in den umliegenden, historischen Gebäuden die Nebenbühnen. Eigentlich bin ich ja gar kein Freund von Festivals, egal ob Film-, Musik-, Theaterfestivals und erst recht keine Riesen-Open Airs. Ich will und kann nicht an einem Wochenende auf Vorrat konsumieren. Aber für die Kulturindustrie scheint die „Eventisierung“ eine unabdingbare Marketingstrategie zu sein wie die Vorratspackung im Supermarkt. Skalierungseffekte gelten eben auch für Nischenkultur und Kunstmarketing. Um den vielen Aufwand mit den Förderanträgen und dem Transport des Flügels zu rechtfertigen, sollten möglichst nicht nur Herr Schlippenbach, sondern auch noch ein paar andere Pianisten darauf herumklimpern, damit sich‘s lohnt. Aber ich hatte nicht den großen Hunger, sondern wollte nur ein kleines Kulturhäppchen zu mir nehmen und entschied mich für den Samstagabend mit SchnellerTollerMeier und Filter Bubble, die beide auf der Open-Air-Bühne performten.

Die große Bühne in Peitz

SchnellerTollerMeier spielten in der klassischen (Rock-)Besetzung Schlagzeug, E-Bass, E-Gitarre und ich hatte mir ein fulminantes Energiegewitter erhofft, das allerdings sehr kurz ausfiel. Die Band steigerte die Intensität jeweils nur langsam, es hörte sich fast die ganze Zeit nach Intro an. Außerdem erinnerte es mich zu sehr an Tortoise, was zwar ganz schön war, aber nachgemacht ist halt nicht so toll, wie original. Die erhofften Eruptionen gab es erst in der zweiten Hälfte des Sets und immer erst im letzten Drittel jedes Liedes. Das war sehr intensiv und ein geiler Musikgenuss im Finale, aber dann war es auch schon vorbei. Danach Filter Bubble, die mich schon mit ihrem Soundcheck irritierten. Was macht das Jugendorchester auf der Bühne? Filter Bubble waren als dreiköpfige Formation mit möglichen Gästen angekündigt, und wie sich dann herausstellte, hatten sie das Schweizer JugendJazzOrchester dabei, weil ihre anderen (Profi-)Kollegen keine Zeit (oder zu hohe Gagenforderungen) hatten. Und so spielte dann also das, was ich als Big Band oder Showorchester bezeichnen würde und beim ersten Hinhören war es auch die Musik, die zu solch einem Orchester gehört, also Bläsersätze und sehr geordneter, durchkomponierter Gesang. Aber ironisch gebrochen, schon nach wenigen Takten merkte man, da stimmt doch was nicht, unerwartete Harmonien, coole Rhythmen, abgehobene Texte und schräge, bisweilen infernalische Soloeinlagen, die einen guten Kontrast zu dem „bildungsbürgerlichen“ Bigband-Sound bilden. Klarer Fall von künstlerischer Camouflage. Benjamin Weidekamp, offensichtlich Kopf oder zumindest Sprachrohr der Gruppe, war für die sehr amüsanten Ansagen zwischen den Stücken zuständig und erklärte gleich zu Beginn, dass sein Outfit (Anzug, Krawatte) Arbeitskleidung sei und ich vermute, dass sich das metaphorisch auch auf seine sehr unkonventionelle Musik bezog, die sich formell als Big Band tarnte. Ich amüsierte mich hervorragend während des Konzerte, vor allem als es um den Song ging, der sich mit dem persönlichen Leid der Multi-Milliardäre beschäftigte.

Benjamin Weidekamp mit Sonnenbrille, die andere Brille hatte er angeblich vergessen

Da in der guten Laune die Musik sehr schnell an mir vorbeizog, wollte ich einen Tonträger von Filter Bubble erwerben, fand aber keinen und musste feststellen, dass sich die Lieder des Konzertes auf den CDs von Brigade Futur III befinden, einer Künstlergruppierung, in der Benjamin Weidekamp ebenfalls eine wichtige Rolle spielt. Futur III, da war doch was? Taz.Futurzwei ist eine vierteljährlich erscheinende Zeitschrift für Politik und Transformation von Harald Welzer, FUTUR DREI ist eine Werbeagentur aus Hannover, im Satiremagazin Postillon (das ich noch nie gelesen habe) wurde das Futur 3 auch schon behandelt und bei extra 3 mit Christian Ehring wurde es ebenfalls gefordert. Ironisch oder ernstgemeint geht es immer darum, dass wir alle wissen, was wir für eine gelingende Zukunft tun müssen, aber es nicht tun. Bei der Brigade Future III, deren eine CD den Titel „Alles wird gut gegangen sein werden“ trägt, und die andere „Ein bisschen Zeit haben wir ja noch“, gefällt mir das das sehr gut, da werden Texte vom verstorbenen SPD-Linken Hermann Scheer und von Dr. Maja Göpel (Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen) in die Lieder eingebaut, und der geradezu übertrieben melodische Gesang behandelt, ganz nach meinem Geschmack, ökologische und politische Themen auf bizarre Weise und gibt mir das, was ich dringend brauche: Die Hoffnung, dass es da draußen doch ein paar Menschen gibt, die den Ursache-Wirkung-Zusammenhang zwischen Gegenwart und Zukunft sehen und daraus eine vernunftbasierte Planung ableiten und umzusetzen beabsichtigt gehabt werden haben wollen. Ist diese Hoffnung notwendig, um die Musik von Benjamin Weidekamp gut zu finden? Es genügt auch etwas musikalischer Humor, aber für mich ist der Meta-Sinn auf jeden Fall wichtig, aber je länger ich mich mit der Musik beschäftige, umso kraftvoller wirkt sie auf mich. Hört auf jeden Fall mal rein, wenn sich die Gelegenheit bietet!

Soviel erstmal zum tollen Festival Peitz, wo man auch auf jeden Fall mal reinhören sollte, wenn sich die Gelegenheit bietet (ja, zur Not kann man bei mir übernachten, kommt alle!)

Johan Jutterström – sax, Sakina Abdou – sax, Joel Ring (mit Basecap) – cello, Ryan Packard – drums

Dann ging es erstmal zu einem Sommerurlaub nach Stockholm. Eigentlich wollte ich das schwedische Nachtleben wegen den hohen Bierpreisen meiden. Aber wie es der Zufall will, fand gerade während meiner Anwesenheit das Frim Fall Festival für experimentelle und improvisierte Musik statt, und da das Ticket für einen Abend nur 25 € kostete, dachte ich mir, dass ich die Gelegenheit nutzen sollte, Einblick in die schwedische Freejazzkultur zu bekommen, schließlich mischen die Skandinavier in allen Genres erfolgreich mit. Das Frim Fall Festival erwies sich dann als sehr subkulturell und klein (ich vermute, die Organisation beruht auf einer Nonprofit-Vereinsmeierei), aber erfreulicherweise auch unkompliziert und billig. Getränke gab es an der Kasse einfach als Dose in die Hand gedrückt und Bier kostete läppische 2,50 €. Eigentlich waren es nur drei Veranstaltungen (Freitag bis Sonntag) mit jeweils zwei bis drei Acts, die jeweils einen Kurzauftritt hinlegten. Das fand in einem kleinen Offtheater statt, dessen Repertoire vor allem aus revolutionsrelevanten Stücke zu bestehen schien. Auch hier Besucher im fortgeschrittenem Alter und sehr unauffällig, durchmischt mit einer Prise jüngeren Szenepublikums. Die Bühne ganz dekonstruktivistisch, denn die Musiker saßen im Theaterraum ohne Wandabhängung, so dass man im Hintergrund industrielle Rohrleitungen sehen konnte, die vermutlich zur Fernwärmeversorgung gehörten. Stockholm hat ein großes Fernwärmenetz, das sowohl aus Kraftwerken, aber auch durch Industrie-Großwärmepumpen gespeist wird, so dass auch die arme Subkultur ökologisch mit Wärme versorgt wird.

Und dann versorgt die Subkultur die Menschen mit mentaler Energie. Doch hier wurde unerwartet Energie gespart. Das Johan Jutterström Quartet spielte das vielleicht leiseste Konzert, das ich von einer Band mit Schlagzeug je gehört habe. Herr Jutterström saß merkwürdig zusammengefaltet auf dem Stuhl, um seine langen Beine und das Tenorsax zwischen Stuhl und Notenständer zu verstauen. Er und die Afroamerikanerin Sakina Abdou (die wohl der Star des Ensembles war) spielten sehr dezente und fremdartige, aber gute Bläsersätze vom Blatt (oder Tablet), d. h. improvisiert wurde nur dann, wenn ein Solo angesagt war, während Schlagzeug und Cello (als Bassersatz) eine gute Freejazz-Basis legten, wobei der Cellist schon etwas anders spielte, als es die Bassisten tun, aber alles in einer vornehmen Zurückhaltung und Pianissimo mit einzelnen Akzenten. Aber trotz Energieeffizienz war es ein sehr packendes Ereignis.

Der Sologitarrist Topias Tiheäsalo (Finnland) begrüßte uns mit einem freundlichen Dank für die Einladung und legte auf sympathische Art dar, was er nun machen werde: Eine freie Improvisation über Themen, die wir alle kennen würden (ich erkannte keins, war er zu elitär oder ich zu unwissend?) und das tat er dann auf einerseits unspektakuläre, aber andererseits sehr gute Weise, pendelte im gut nachvollziehbaren und spannenden Wechsel zwischen tonalen und atonalen/geräuschhaften Passagen.

Bild vom Soundcheck, im Hintergrund sind die ökologischen Heizanlagen deutlich zu erkennen

Die an- bzw. abschließende Band VAKAMRU kümmerte sich hingegen so gut wie gar nicht um eine solche Dramaturgie, es war einfach ein großes ambitioniertes Rauschen/Lärmen/Musizieren. Bei ihnen passte die abgenutzte Formulierung: Gewollt, aber nicht gekonnt. Laut Programm sind VAKAMRU aus England, Sweden, Germany, France, Kenya und bestehen aus Elvin Brandhi (vocals, field recordings, tapes, vinyls, instruments), KMRU (electronics), Joel Grip (bass) und Antonin Gerbal (drums, percussion). Da stimmt doch was nicht, vier Musiker, fünf Nationalitäten? Sei es drum, Multinationalität ist eh prima, also lieber ein bisschen zu viel, als zu wenig, und das galt auch für die technische Ausstattung, denn Mr. KMRU (vermutlich Kenya und der Basecap-Träger der Formation) hatte einen ganzen Tisch voll mit Geräten inkl. Laptop, daneben noch ein großes Mischpult und Elvin Brandhi (die aussah wie eine Frau und auch so klang) kniete meistens am Boden und verfügte über einen Vielzahl von Effektgeräten, aber der Klang, der dabei erzeugt wurde, war kaum differenziert, es passierte klanglich fast nichts. Während Bass und Schlagzeug eifrig und fleißig einen hektischen, freejazzigen Background ablieferten, gab die Vokalistin zu Anfang des Konzerts einige Schreie, hysterische Vocals und Krächzer von sich, schickte sie in ein Echogerät hinein und holte die immer gleichen Töne leicht verfremdet während der gesamten 40 Minuten wieder heraus. Ansonsten war der Raum voll mit Klang, aber nichts Konkretes, nichts, was ich identifizieren konnte, nichts, was Spannung erzeugte, und das kam vermutlich vom Basecap-Träger an den Electronics. Live funktionierte das sogar ganz gut. Das Ensemble spielte fast im Dunkeln, nur mit Hinterlicht, so dass es sphärisch und geheimnisvoll wirkte, aber als ich mir später auf dem Smartphone meinen heimlichen Mitschnitt nochmal anhörte, dachte ich mir, dass das total öde war, sehr breitgetreten, sehr in die Länge gezogen, sehr selbstgefällig. Für eine 40-Minuten-Performance ist eine Idee zu wenig.

Aber Spaß gemacht hat der Abend auf jeden Fall, da geh ich wieder hin, wenn ich mal in Stockholm bin und billig trinken will. Im Alltag höre ich ja sowieso fast nie Jazz, naja, vielleicht ab jetzt ab und zu Brigade Futur III.

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