Frank Weghardt, der zeitlebens ein eher unauffälliges Leben in bürgerlicher Idylle verbrachte, gilt inzwischen als einer der ganz großen Visionäre und Konzeptkünstler des 20 Jahrhunderts. Zwar hatte die Weghardt-Forschung bereits zur Jahrtausendwende Hinweise darauf, dass es auch ein bildhauerisches Werk des Avantgardisten geben sollte, doch erst im Jahr 2014 wurde dieses Werk gefunden: Abseits aller kulturellen und pseudo-kulturellen Zentren des Kunstbetriebes lagerte es in 14 Holztruhen mit der Beschriftung „Götter-Tod-Baum“ in einer Abstellkammer. Der Computertechniker Mattes Wolf fand den Kunstschatz als er in diesem Raum einen Server installieren wollte.
Die Zuordnung des Werkes in das Schaffen von Frank Weghardt steht zweifelsfrei fest, da verschiedene Notizen und ein ausführlicher Brief Weghardts den Kisten beilagen. Gemeinsam mit bereits bekannten Tagebucheintragungen können die Hintergründe des Werkes, die künstlerische Intentionen und der Schaffensprozess erschlossen werden.
Weghardt war vor dem Mauerbau in die sowjetische Besatzungszone gereist, um dort nach Hinterlassenschaften seiner Mutter zu suchen. Die Mutter hatte das ausgebombte Berlin bereits 1944 verlassen und war bei dem ihr bekannten Schlossverwalter und Hausmeister Friedrich Böhm auf dem Land untergekommen. Inwieweit diese Beziehung auch sexueller Natur war, ist nicht geklärt, da Weghardts Mutter noch vor dem Ende des Kriegs verstarb. Frank Weghardt selbst kehrte erst 1947 aus der Kriegsgefangenschaft zurück und lebte danach in Ödheim am Rhein. Woher er von dem Aufenthalt seiner Mutter in Lieberose wusste, und was ihn schließlich dazu bewegte im Sommer 58 oder 59 in die Lausitz zu fahren, ist nicht bekannt. Aber dort schuf er vor Ort den Zyklus „Götter Tod Baum“, ein Titel der sowohl die Traumata des Krieges, als auch den verordneten Atheismus der frühen DDR verarbeitet. Es handelt sich um ca. 40 Holzskulpturen aus Wurzelholz des Götterbaums, in verschiedenen Größen, die ihre expressive Ausdrucksstärke aus der reduzierten Bearbeitungstiefe schöpfen. Der Götterbaum ist eine schnell wachsende invasive Pflanze, die aus dem Asiatischen raum stammt.
Da Weghardt mit dem Zug zurückreiste, blieb der gesamte Werkzyklus beschriftet und sortiert in Lieberose zurück. Wie aus dem jetzt gefundenen Brief an Friedrich Böhm zu entnehmen ist, verzichtete Weghardt entgegen seiner ursprünglichen Absicht darauf die Kunstwerke im folgenden Sommer mit dem Lieferwagen abzuholen. Er begründet es mit den Schwierigkeiten, die eine Reise in die DDR mit sich bringen würde. Unter anderen hatte Weghardt bereits bei der Rückreise aus Lieberose verschiedene Schikanen der Behörden erdulden müssen, und deshalb schreckte er vor einer langen Autoreise zurück. Er bat stattdessen den Hausmeister, die Kunstwerke aufzubewahren. Darüberhinaus erkundigte es sich nach einem Film, der die Herstellung der Werke dokumentiert und erbittet sich eine Kopie. Es anzunehmen, dass Weghardt daraufhin das unvertonte Original des Filmes geschickt bekam, und es mit einer Klangcollage vollendete. 1961 lief das Werk auf den Kurzfilmtagen Oberhausen unter dem Titel „Götter Baum Wurzelbehandlung (schmerzhaft)“.
Erst jetzt, da die Skulpturen gefunden wurden, schließt sich der Kreis zwischen filmischem und bildhauerischem Werk Frank Weghardts. Der Kontext lässt leicht erkennen, dass er bereits in den späten 50 Jahren eine quasi post-globalisierte Weltsicht gefunden hatte. Seine ökologisch nachvollziehbaren Bemerkungen, dass der Götterbaum in der Niederlausitz als „elender Eindringling“ von ihm höchstpersönlich „abserviert, filetiert und Kunst-Konserviert“ werden solle, hätte im dogmatischen Antifaschismus der DDR womöglich offizielle Empörung hervorgerufen. Provokativ schreibt Weghardt in seinem Brief an Friedrich Böhm: „Der Götterbaum und der Sozialismus wären nie Freunde geworden, da habe ich ihn sogleich herausgehackt, und schon hatten sie alle nichts mehr zu lachen, SIE, in ihrer provinziellen Gurken-Republik“.
Doch jetzt kann man wieder lachen. Und kaufen. Alle Werke des Zyklus „Götter-Tod-Baum“ werden durch MultiPOP-Produktion vertrieben, beziehungsweise für Ausstellungsbeteiligungen zur Verfügung gestellt.
Der dazugehörige Film von Friedrich Böhm konnte digital abgetastet und neu gemastert werden. Er ist unter http://vimeo.com/91393467 verfügbar.
Hat dies auf Weltsicht aus der Nische rebloggt und kommentierte:
Die Kunstgeschichte der Nachkriegszeit muss einmal mehr neu geschrieben werden. Bei der Installation eines Servers wurde nun im brandenburgischen Lieberose das bisher unbekannte bildhauerische Werk des Avantgardisten Frank Weghardt (1902 – 1991), der bisher vor allem als eKomponist in der Webern-Nachfolge einem kleinen Kreis akademischer Musikologen ein Begriff war, entdeckt. Ralf Schuster hat sich des Phänomens Weghardt, gegen dessen immenses Werk sich Cornelius Gurlitts Kunstsammlung unbedeutend ausnimmt, nun in Form eines Weblogs angenommen, dessen erster Beitrag hier nun exklusiv in der „Weltsicht“ gerebloggt wird.